Kein guter Zaun

von Stefan J. Wimmer

Zypern ist, trotz aller Bemühungen der letzten Zeit, noch immer ein geteilte Land. Korea ist es auch, mit einer Grenze, die die ehemalige deutsch-deutsche an Menschenfeindlichkeit sogar noch übertrifft. Das eigentlich Heilige Land ist es neuerdings auch. Die israelische Regierung spricht von einem Zaun, die Palästinenser von der Mauer. Tatsache ist, dass die Sperranlagen, die derzeit im besetzten Westjordanland errichtet werden, zum größten Teil aus einem ca. 3 m hohen, mit elektrischen Sensoren versehenen Zaun und Grabenanlagen zu beiden Seiten bestehen, während bestimmte Abschnitte tatsächlich als Betonmauer – von bis zu 8(!) m Höhe – realisiert werden. In manchen Bereichen folgt der Verlauf in etwa der Demarkationslinie zur Westbank von vor dem Sechstagekrieg, in anderen greift sie weit in Palästinensisches Autonomiegebiet ein, so etwa auch zwischen Jerusalem und Bethlehem, wo ungefähr an der Stelle, wo der Tradition nach die Weisen aus dem Morgenland den Stern erblickt haben sollen, der Mauer-Zaun nun den Weg abschneidet.

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Gastfreundschaft im Zeichen Abrahams

EIN VOTUM

Unter dem Eindruck der völlig unangemessenen Disziplinarmaßnahmen gegenüber einem verdienten Theologen und Religionswissenschaftler (Prof. Gotthold Hasenhüttl, Saar-Universität Saarbrücken), ruft der Vorstand der Gesellschaft Freunde Abrahams e. V. dazu auf, im engagierten Bemühen um ein gastfreundliches Miteinander in allen Bereichen des menschlichen und religiösen Lebens nicht nachzulassen, und die Hoffnung auf ein ökumenisches und interreligiöses Miteinander in Frieden und Respekt zu vertiefen. Die Erinnerung an die Gastfreundschaft Abrahams (vgl. Genesis 18,1-8) ist uns ein unverzichtbares Leitbild in der offenen Wahrnehmung und Wertschätzung des Anderen im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung vor der göttlichen Einladung zu einem humaneren Zusammenleben in der Welt.

Im Namen des Vorstandes: Prof. Dr. Dr. Manfred Görg, 1. Vorsitzender

MA NISCHTANA?

WAS MACHT DEN UNTERSCHIED?

Wissenschaftler, die mit dem Alten Orient befasst sind, kommen alle zwei Jahre zu einem großen Weltkongress zusammen. Als ein ganz besonderes Prädikat des „International Congress for the Archaeology of the Ancient Near East“ (ICAANE) konnte bisher stets die Tatsache gewertet werden, dass Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt, besonders aber aus den Ländern des Nahen Ostens, teilnahmen. Aus allen Ländern des Nahen Ostens – was angesichts der politischen Stimmungslage der vergangenen Jahre leider alles andere als selbstverständlich ist. Dies eben macht den Unterschied und zeichnet den ICAANE vor vielen anderen Veranstaltungen zur Region aus. Den Veranstaltern ist gerade dieser Anspruch ein entscheidendes und erklärtes Anliegen. Die gemeinsame Beschäftigung mit der altorientalischen Geschichte soll auch im Sinne einer besseren Zukunft der Region Brücken bauen helfen. 1998 in Rom, 2000 in Kopenhagen und 2002 in Paris konnte man israelische Archäologen zusammen mit palästinensischen, jordanischen, ägyptischen, syrischen, irakischen und iranischen Kollegen hitzige Diskussionen, aber auch private Gespräche in freundschaftlicher Atmosphäre führen sehen.

Der 4. ICAANE ist nun für nächstes Jahr in Berlin geplant. Als Termin war 1.-7. April 2004 vorgesehen. Dabei war den Veranstaltern bei der Planung entgangen, dass das jüdische Pessach-Fest nächstes Jahr am 6. April beginnt. Am Vorabend wird bekanntlich die heilige Seder-Nacht gefeiert, die das wohl wichtigste Familienereignis im jüdischen Jahreslauf markiert. Ma nischtana laila se mi-chol ha-leilot? – ‚Was unterscheidet diese Nacht von allen Nächten?‘ lautet die zentrale Frage, die im Kreis der Familie beim Lesen der Haggadah gestellt und mit der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten beantwortet wird. Ganz unabhängig von der grundsätzlichen Einstellung zur Religion, wird wohl jede jüdische Familie diese eine Nacht besonders in Ehren halten. Es wäre also nicht anders, als wenn man einen Kongress etwa vom 20. – 26. Dezember anberaumt und christliche Teilnehmer eingeladen hätte; oder muslimische Teilnehmer zu einem Kongress während des Festes zum Ende des Ramadan. Faktisch hätte das bedeutet, dass jüdische Teilnehmer vorzeitig abreisen müssten, oder überhaupt nicht zum Kongress nach Berlin kommen würden. Wie also würde sich dieser Kongress unterscheiden von den bisherigen ICAANEs? Dadurch, dass Juden sich unerwünscht vorkommen müssten (auch wenn den Veranstaltern sicherlich keine derartige Absicht unterstellt werden darf!), und dies in Berlin . . . . Weiter mag man an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr denken.

Daher entschlossen wir uns zum Handeln. Im Namen der Gesellschaft, die schließlich auch aus der Beschäftigung mit den altorientalischen Quellen zu einem besseren Umgang miteinander beitragen möchte, machten wir über ein in der Fachwelt bekanntes Internet-Forum (https://listhost.uchicago.edu/mailman/listinfo/ane, siehe unten zur Dokumentation) auf den Missstand aufmerksam und regten an, dass trotz der erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten, die eine Verschiebung wohl mit sich brächte, schlicht nichts anderes übrig bleiben würde, als den Termin zu ändern. Die Reaktion kam erfreulich rasch. Wenige Tage später entschuldigte sich das Organisationskomitee über dasselbe Forum für den Fauxpas und kündigte an, dass an einer Lösung gearbeitet werde. Inzwischen wurde der Kongresstermin, ‚aus organisatorischen Gründen‘, wie es heißt, geändert. Der Kongress wird nun am 28.3.-3.4.2004 stattfinden. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.

Stefan Jakob Wimmer

Dokumentation zur Kontroverse um den
4. International Congress on the Archaeology of the Ancient Near East,
Berlin 2004:

Einladung des Organisationskomitees (27.5.2003)
Protestnote der Freunde Abrahams (12.6.2003)
Erste Reaktion des Organisationskomitees (16.6.2003)
Reaktionen
Änderung der Kongressdaten (4.7.2003)
Offizielle Bekanntgabe durch das Organisationskomitee (7.7.2003)


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Zur Plünderung von Bagdad

Das Irakische Nationalmuseum in Bagdad beherbergt – oder beherbergte – eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen materieller Zeugnisse der mesopotamischen Zivilisationen. Sollten die Berichte der vergangenen Tage über das Ausmaß der Plünderungen dieses und weiterer Museen, sowie der Brände der Irakischen Nationalbibliothek und weiterer Bibliotheken, auch nur im Ansatz zutreffen, so wäre der angerichtete Schaden mit einer weitgehenden Zerstörung etwa des Ägyptischen Museums Kairo oder des Griechischen Nationalmuseums Athens, von Teilen der Vatikanischen Museen, der Berliner Museumsinsel, des Louvre, des Britischen Museums oder des Metropolitan Museum in New York vergleichbar.

Die Exzesse sind wohl nur auf dem Hintergrund sozialer und kultureller Zerrüttung in Folge jahrelanger Unterdrückung, und somit als Ergebnis von Diktatur und Embargo zu verstehen. Sie hätten jedoch ohne nennenswerten Aufwand verhindert werden können. Dies wäre die völkerrechtliche Verpflichtung der Kriegsparteien, bzw. der Siegermächte gewesen. George W. Bush und seine Regierung tragen somit nach anerkanntem internationalem Recht die Verantwortung für einen der dramatischsten Verluste an Kulturerbe der Menschheit, der jemals verzeichnet wurde.

Die Äußerungen von Verteidigungsminister Rumsfeld, der die Geschehnisse mit Fußballkrawallen gleichsetzte und hinzu fügte stuff happens‘ (etwa: ‚kann passieren‘), sprechen deutlicher für sich selbst, als jede Kommentierung es vermochte.

Dem wäre hinzu zu fügen, dass dem Verlust unersetzlicher Kulturdenkmäler der an Menschenleben in noch nicht überschautem Ausmaß gegenüber steht, von denen – nach einem Koranwort – jedes einzelne soviel wiegt, wie die ganze Schöpfung.

16.4.2003 Stefan Jakob Wimmer

Europa – eine christliche Bastion?

Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. Manfred Görg

In der Diskussion um den ‚Gottesbezug‘ im Verfassungsentwurf für die Europäische Union spielt der Blick in die Geschichte Europas eine große Rolle. Hier wurden Stimmen laut, die neben der Nennung Gottes, etwa in der Präambel, eine Gewichtung der christlichen Glaubenstradition fordern, deren Prägekraft für die Konstitution des künftigen Europa unverzichtbar sei. Mit gutem Grund wird auf kulturelle und religiöse Zeugnisse verwiesen, die die Verpflichtung wachrufen, dieses Erbe in Verantwortung vor der Würde einer schöpferischen Leistungskraft des Glaubensweiterzutragen. Dieser Orientierung folgen auch Initiativen wie der zeitübergreifende Katholikentag, der kürzlich im Wiener Stephansdom feierlich eröffnet wurde.

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Erdverantwortung

Vortrag von Prof. Görg im Rahmen der Ringvorlesung: ERDE – BEDRÄNGNIS UND BEDRÄNGER
Dienstag, 26. November

Erdverantwortung – jüdische, christliche und muslimische Perspektiven

1. Provokation der Zeit

Die jüngste Umweltkatastrophe an den Küsten Spaniens und Portugals ist weit mehr als ein lokal begrenzbares Ereignis. Es hat Signalwirkung für ein übergreifendes Desaster, dem die umweltpolitischen Strategien nicht gewachsen zu sein scheinen. Der dahintreibende und auseinandergebrochene, mittlerweile gesunkene Öltanker, der den Atlantik mit riesigen Mengen giftigen Schweröls „versorgt“ hat und wohl auch noch weiterhin „versorgen“ wird, ohne selbst „entsorgt“ werden zu können, ist einerseits Symbol für die vom Ölkonsum profitierende und die vom Öl abhängige Wirtschaft der industriellen Nationen vorwiegend des Westens, andererseits ein, wie man weiß, sozusagen globales Wahrzeichen eines Konstruktes mit internationaler Beteiligung, einer multiethnischen Besatzung unter der Flagge der Bahamas, mit einem schönklingenden und doch verräterischem Namen. Schiffbruch erlitten hat hier offenkundig jedweder Ansatz einer bleibenden Legitimation nicht mehr erneuerbarer Energien dieser Erde, überdies die Inanspruchnahme internationaler Kooperation durch ausschließlich ökonomische Interessen. Von wirklicher Interkulturalität keine Spur. Schon gar nicht von einem übergreifend verantworteten Weltethos, das auch und gerade vor den schwindenden Schätzen der Natur dieser Erde geltend gemacht werden müßte. Wo bleibt mit dem Untergang der „Prestige“ das Prestige der Verantwortungsethik? Die Herren des Schiffes mit dem Namen „Prestige“ haben die Würde der Natur verletzt und so den Namen verspielt.

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Mitgliederversammlung 2002

Die ERSTE ORDENTLICHE MITGLIEDERVERSAMMLUNG

fand am Dienstag, 29. Oktober 2002, 19.00 Uhr im LMU-Hauptgebäude statt.
Die bisherigen Mitglieder des Vorstands und Beirats wurden jeweils einstimmig, bei Enthaltung der Betroffenen, in ihren bisherigen Funktionen wiedergewählt. (Zur Zusammensetzung von Vorstand und Beirat siehe die Eröffnungsseite.)

Presseerklärung

Abrahamischer Widerstand

In Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Alttestamentliche Theologie hat sich in München die Gesellschaft „Freunde Abrahams e.V.“ konstituiert. Begründet und gebildet im Zuge des Widerstands gegenüber wachsenden Konfrontationen im Schatten des 11. September 2001, stand nunmehr die erste Mitgliederversammlung unter dem Eindruck des Moskauer Attentats, so dass sich gerade die Frage eines neuen Klimas zwischen den Religionen als dringliche Herausforderung anbot.

Der wiedergewählte 1. Vorsitzende, Prof. Dr.Dr. Manfred Görg, eröffnete die Versammlung in direkter Nachbarschaft zum Lichthof der Universität und der obersten Empore, wo seinerzeit die Geschwister Scholl ihre Flugblätter gegen das Nazi-Regime herabwarfen, mit dem Hinweis, dass es nunmehr wieder an der Zeit sei, der kriegerischen Bedrohung mit ihren denkbar schlimmen Folgen für das Zusammenleben verschiedener Kulturen, Weltanschauungen und Religionen entschieden zu begegnen. Man wolle sich nunmehr wieder dem eigentlichen Anliegen besonders der drei sogenannten monotheistischen Religionen widmen, dem Judentum, dem Christentum und Islam, die sich zuallererst der Erinnerung an die eine schöpferische und barmherzige Wirklichkeit Gottes verschrieben hätten.

Exemplarisch für die drei Religionen stehe die Gestalt Abrahams, die bei aller verschiedenen und respektvoll zu betrachtenden Interpretation doch den gemeinsamen „Vater im Glauben“ und den wandernden Gottesmann darstelle und letztlich ein Geschenk Gottes an die Menschheit sei. Deutlich solle in der Vereinsarbeit vor allem werden, dass die westliche Welt eine Dankesschuld gegenüber dem Orient abzutragen habe, auf dessen Boden immerhin die drei großen Religionen entstanden sind.

Die Gesellschaft „Freunde Abrahams“ widmet sich religionsgeschichtlicher Grundlagenforschung, um so einen wissenschaftlichen Ansatz zur Verständigung beitragen. – www.freunde-abrahams.de –


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Grüße aus Ur, der Stadt Abrahams

von Erzbischof Gabriel Kassab, Basrah, Irak

Eine erschütternde Schilderung der Zustände im südlichen Irak hat vor einigen Monaten der chaldäisch-katholische Erzbischof von Basrah, Msgr. Gabriel Kassab, mit der Bitte um möglichst weite Verbreitung verfasst. Wir geben den englischen Originaltext in der uns vorliegenden Fassung hier ungekürzt wieder. Auszüge werden in ABRAHAMS POST Heft 2 übersetzt. Das Schreiben wird verbreitet von der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen, Wien (www.saar.at).
Die chaldäische Konfession gehört zu den mit Rom unierten orientalischen Kirchen. In der Diözese von Basrah leben ca. 2500 chaldäische Christen, bei einer Einwohnerzahl von ca. 2.5 Millionen.

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Sonntagsblatt zur FA-Gründung

„FREUNDE ABRAHAMS“ GRÜNDEN IN MÜNCHEN GESELLSCHAFT

Ziel: Dialog zwischen den Religionen auf wissenschaftlicher Basis

München. „In der Mitte der heiligen Schriften der Bibel und des Korans ruht die Botschaft vom universalen und zugleich allgütigen Gott, der die Menschheit zum gläubigen und friedvollen Miteinander nötigt und ermuntert“. Solche Worte setzt Professor Manfred Görg jenem verzerrenden Klischee vom „biblischen Krieg“ entgegen, der angeblich im Nahen Osten nach der Devise „Auge um Auge“ geführt wird. Professor Görg ist Alttestamentler an der Münchner Uni, Anlass für seine Ausführungen war die Auftaktveranstaltung der neu gegründeten Gesellschaft „Freunde Abrahams e.V.“. Ausgelöst wurde die Neugründung nicht zuletzt durch die brisanten politischen Ereignisse. Ziel der Gesellschaft ist u.a. die Förderung des Dialogs zwischen den Religionen, besonders zwischen Judentum, Christentum und Islam. Und dies auf wissenschaftlicher Basis. Dabei ist – anders als bei vielen schon bestehenden Initiativen – eine fundierte Auseinandersetzung mit der nahöstlichen Religionsgeschichte von zentraler Bedeutung. So kann die Gestalt Abrahams zum Hoffnungsträger werden für eine Begegnung, bei der alle Religionen ihre Identität wahren können.

Daher lag es auch nahe, den Tübinger Theologen Karl-Josef Kuschel, aus dessen Feder das bekannte Buch stammt: „Streit um Abraham: Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint“ (2. Aufl. Düsseldorf 2001) zum Eröffnungsvortrag zu bitten. Natürlich sprach Professor Kuschel auch vom 11. September 2001, doch dann stellte er vor allem erfreulichere Dinge in den Vordergrund, zum Beispiel den historischen besuch des Papstes in der Omaijadenmoschee von Damaskus oder die vom iranischen Präsidenten Chatami gesetzten Zeichen für ein neues Aufeinander-Zugehen.

Muss man nicht verzweifeln angesichts des mörderischen Ringens im Land der Bibel? Professor Kuschel: Notwendig sei radikales Gottvertrauen – allen Vergeblichkeiten zum Trotz. Notwendig sei, sich aufzumachen ohne alle Sicherheiten. Diese Markenzeichen abrahamischer Spiritualität könnten zum stärksten Gegengift gegen den lähmenden Fatalismus werden, sagte er. „Die Geschichten Abrahams in Bibel und Koran sind die beste Zynismusprophylaxe“, sagte der Theologe. Die „Ökumene der Kinder Abrahams“ könne, wenn sie denn funktioniert, den Weltfrieden stabilisieren.

Als erster Vorsitzender der neuen Gesellschaft fungiert Professor Manfred Görg, sein Stellvertreter Stefan Jakob Wimmer ist wissenschaftlicher Assistent und Mitarbeiter am Institut für Ägyptologie der Münchner Universität.

Sonntagsblatt 12.5.2002

Münchner Kirchenzeitung zur FA-Gründung

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Auf Einladung der „Freunde Abrahams“
spricht Professor Karl-Josef Kuschel über interreligiösen Dialog.

München, 30.04.02. Unter den Zuhörern meldet sich eine Ordensfrau zu Wort. »In Pakistan bekennt sich eine Muslimin zum Christentum«, berichtet sie von einem ihr bekannten Fall. »Ihre Familie verstößt und enterbt sie, der Bruder gibt ihr zu verstehen, dass er sie eigentlich töten müsste. Was sagen Sie dazu?« Der Angesprochene, Professor Karl-Josef Kuschel, anwortet ohne Ausflüchte. »Die Scharia kennt Regelungen, die uns entsetzen und die wir nicht akzeptieren können«, räumt der Theologe ein. Gleichwohl warnt er davor, sich im interreligiösen Dialog auf Skandale zu konzentrieren: »Sonst sitzt der Gesprächspartner schnell auf der Anklagebank.« Christen wollten ja schließlich auch nicht, dass man ihnen ständig die Kreuzzüge um die Ohren haue.

Kuschel, der in Tübingen Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs lehrt, hat zuvor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) über die Chancen und Risiken einer Ökumene von Juden, Christen und Muslimen referiert. Mit ihm präsentiert sich an diesem Tag auch die Gesellschaft der »Freunde Abrahams« zum ersten Mal in der Öffentlichkeit. Der Verein wurde im Herbst 2001 an der Abteilung für biblische Theologie der LMU aus der Taufe gehoben. Vorsitzender ist der Alttestamentler Professor Manfred Görg. Die »Freunde Abrahams« haben sich zum Ziel gesetzt, die interreligiöse Verständigung zwischen Juden, Christen und Muslimen auf wissenschaftlicher Grundlage zu fördern.

Dreh- und Angelpunkt ist für den Verein wie für Kuschel Abraham. In ihm sähen Juden, Christen und Muslime den »Vater ihres Glaubens«, so Kuschel. Auf dieser Grundlage sei eine »Ökumene der Kinder Abrahams« möglich und vielerorts bereits Wirklichkeit. Um aber angesichts einer »entsetzlichen Gewaltgeschichte zwischen den Religionen« nicht zu resignieren, empfiehlt Kuschel, sich positive Momente in Erinnerung zu rufen. »Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke«, zitiert er Heinrich Böll. Nötig, so Kuschel, sei eine »abrahamische Spiritualität«: ein radikales Gottvertrauen »aller Vergeblichkeiten des Augenblicks zum Trotz«.

Jürgen-A. Schreiber,
Münchner Kirchenzeitung 5.5.2002