Blätter Abrahams

herausgegeben von Manfred Görg und Stefan Jakob Wimmer

Geleitwort zur Schriftenreihe

von Manfred Görg

In einem Interview der Zeitschrift UNIVERSITAS (vom Februar 1999) bin ich gefragt worden, ob und wie sich das Christentum in den „interreligiösen Kontext“ einfinden solle. Darauf glaubte ich sagen zu müssen, wir seien in einem „viel stärkeren Maße als bisher gefordert, die verbindenden Elemente der einzelnen Religionen herauszuarbeiten“, da „wirkliche Selbstfindung“ darin bestehe, „dass man zunächst einmal das Gemeinsame wahrnimmt“. Dazu erhielt ich einen zustimmenden Brief des Philosophen Hans-Georg Gadamer (1.3.1999), in dem er mir versicherte, dass es seit längerem seine Überzeugung sei, „dass die großen Weltreligionen allein den Frieden bringen können, dem keine Vernichtung droht“.

Das Interesse an einer „konnektiven Religionstheologie“, die verbindende und verbindliche Überzeugungen gerade unter den Religionen des monotheistischen Bekenntnisses aufzuspüren und herauszustellen sucht, ist bisher mit der religionsgeschichtlichen Arbeit an meinem Lehrstuhl für „Alttestamentliche Theologie“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München eng verbunden gewesen. So lag es nahe, eine Vereinigung ins Leben zu rufen, die sich der Förderung des interreligiösen Dialogs auch in einer größeren Öffentlichkeit widmen sollte. Diese Vereinigung sollte zugleich den verschiedenartigen Initiativen zur Seite treten, die im deutschsprachigen Raum der Gegenwart dem gleichen Anliegen gewidmet sind.

Der Wunsch nach einer Grundsolidarität der Religionen des Judentums, Christentums und Islams hat bei aller Erschütterung durch die Ereignisse am 11. September 2001 einen unvorhergesehenen Schub erhalten. Nur wenige Tage nach dem Datum fanden sich die Mitarbeiter des Lehrstuhls zusammen, um mit der Gründung einer Initiativgruppe dem interreligiösen Gespräch näherzutreten. Wir übernahmen dankbar die Anregung meines Mitarbeiters Stefan Jakob Wimmer, den Namen FREUNDE ABRAHAMS zu wählen, um so die tätige Erinnerung an eine Gestalt zu pflegen, die in den drei Weltreligionen in je eigener Rezeptionsweise als Vater im Glauben an den Einen und Einzigen geschätzt und verehrt wird.

Unser Interesse an einem qualifizierten Dialog der drei Religionen ist vor allem von unserem Blick auf die gemeinsame Verwurzelung in der Welt des Orients getragen, die eine durch und durch religiöse Welt gewesen ist und sich immer noch so versteht. Der Zugang sollte daher gerade auch die wechselseitigen Ströme erfassen, die von einer Religion zur nächsten geflossen sind, um zugleich die unverwechselbare Identität jeder Religion um so eindrucksvoller in den Blick treten zu lassen.

Die mit diesem Heft beginnende Zeitschrift BLÄTTER ABRAHAMS (zum Namen vgl. den Beitrag von S.J. Wimmer) wird der Erinnerung an gemeinsame Wurzeln und der Begegnung im Rückblick auf die meist leidvolle Geschichte in der Verantwortung vor dem einen Gott zu folgen suchen. Nur wer die Geschichte zu durchleuchten versteht, wird Perspektiven für das zukünftige Miteinander entwickeln können. Nicht zuletzt bewegt uns der Dank für das, was das Abendland aus dem Morgenland empfangen durfte, zur Erfüllung einer Bringschuld. Ohne die Vorgabe des Lichtes vom Osten säßen wir noch immer im Dunkel.

So hoffen wir auf freundliche Aufnahme der Zeitschrift.


Zum Titel der Schriftenreihe:

Die Blätter des Abraham

von Stefan Jakob Wimmer

Neben einem „gesunden Herzen“ und dem „rechten Verhalten“ ist es ein „besonderes Wissen“, das der Koran dem Gottessucher und Gottesgesandten Abraham (arab. Ibrahim) kennzeichnend zuschreibt (37,84; 21,51; 19,43; vgl. A.Th. Khoury, L. Hagemann, P. Heine, Lexikon des Islam, Digitale Bibliothek Bd. 47, Berlin 2001, 50). Über die Quellen von Abrahams hervorragendem Wissen macht sich auch jüdische Gelehrsamkeit Gedanken und meint sie – wen wundert’s? – am überzeugendsten mit seinem Aufenthalt in Ägypten in Verbindung zu bringen: „um vieles Wissen wurde er dort bereichert; denn er hatte von den Weisen Ägyptens und von den Wahrsagern die Rechenkunst und die Sternkunde erlernt.“ (M.J. bin Gorion, E. bin Gorion, Die Sagen der Juden, Leipzig 1978, 218). Der Anklang an den nach jüdischer wie islamischer Tradition nächsten großen Glaubenslehrer Mose (arab. Musa) ist dabei offensichtlich (vgl. Apg 7,22: „Und ausgebildet war Mose in aller Weisheit der Ägypter“). Ohne nähere Erläuterung setzt auch der Koran die beiden Propheten in Paarbezug: Sure 87,18 erwähnt „die Blätter von Abraham und Mose“ (umgekehrt „die Blätter des Mose und des Abraham“ auch Sure 53,36f.). Die beiden Stellen gehen damit über die sehr viel häufiger genannten, vorkoranischen Offenbarungsschriften, nämlich in erster Linie Tora, Psalter und Evangelium, hinaus. Im Einklang damit weiß ja die islamische Tradition von weiteren Prophetenbüchern, oft auch ohne Genaueres über ihre Bezeichnungen oder gar ihren Verbleib zu überliefern. Das Ausbleiben präziserer Auskünfte mag kritisch-hinterfragende Geister irritieren. Gefordert wird hier aber eine bewusst gelassene (keinesfalls beliebige!) Offenheit gegenüber Inhalten, die angedeutet und in den Raum gestellt, aber nicht kommentiert oder begründet werden. Was für koranische Offenbarung häufig gilt, bedeutet für den konkreten Fall – die „?u?uf-Ibr?h?m“ ?: dass über ihren Inhalt, oder gar ihre religionsgeschichtliche Stellung, schlicht nichts ausgesagt werden kann, und somit wohl auch nicht spekuliert werden soll. Nichts über das hinaus, was der Koran selbst an Auskunft bietet:

(Auszüge aus den relevanten Passagen, in eigener Übersetzung)

Was in den Schriften des Mose
und des Abraham, der erfüllte,
steht:
Dass keine (Seele) die Last einer anderen tragen kann,
und dass dem Menschen nichts zukommt,
außer wonach er selber strebt,
und dass sein Streben gesehen wird,
und er dann voll dafür verantwortlich sein wird,
und dass zu deinem Herrn hin die Vollendung führt,
und dass Er es ist, der lachen und weinen macht,
dass Er es ist, der sterben und leben lässt!

(Sure An-Na?m [Der Stern] 53,36-44)
Wir werden dich lesen lassen,
und du wirst nicht vergessen, außer was Gott will,
denn Er entscheidet, was offen liegt und was verborgen bleibt. Und Wir werden dir den Weg zum Guten ebnen!; …
Selig, wer sich läutert,
des Namens seines Herrn gedenkt
und betet. …
Solches steht in den ersten Schriften,
den Blättern des Abraham und des Mose.

(Sure Al-A’lâ [Der Höchste] 87, 6-8.14-15.18-19)

In achtungsvollem Rückgriff auf den so belegten Begriff möchten wir die Schriftenreihe BLÄTTER ABRAHAMS nennen.

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