Abrahams Post 40

 

EDITORIAL:

Meinung und Wahrheit – und die Religionen

Dass die Religionen vieles gemeinsam haben, gehört zu den Grundwahrheiten der Freunde Abrahams. (In manchem unterscheiden sie sich auch – das be­gründet den Reichtum ihrer Diversität und macht sie für uns interessant, ist aber gerade nicht das Thema.) Gemeinsam befürworten die Religionen zweifellos ein Leben im Einklang mit der Schöpfung, das heißt achtsamen Umgang mit der Natur, mit den Ressourcen, mit den Tieren und Pflanzen, mit uns selbst, unserem Körper und unserer Seele. Sie befürworten auch, was Menschen zum gegen­seitigen Nutzen und Segen schaffen und bewirken. Gemeinsam verurteilen sie das Streben einzelner nach Geld und Macht auf Kosten anderer.

Wir sollten nicht das Streben nach gerechten und gesunden Lebensbedingun­gen und das Gute, das die Errungenschaften der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hervorgebracht haben, gegeneinander ausspielen. Sondern bei beidem den Miss­brauch um des Kommerz‘ willen einerseits und um vernunftfeindlicher Meinungs- und Denk­verirrungen willen andererseits bekämpfen. Nicht, weil wir Naturheilkunde befür­worten, die moderne Medizin als solche verteufeln – genau­so wenig wie um­gekehrt! Die Coronakrise kann, sollte, ja muss ein Weckruf werden, damit wir uns auf Nachhaltigkeit besinnen, den Klimaschutz noch viel ent­schlos­sener angehen und uns dabei auf das, was Wissenschaft kann und zum Guten leistet, stützen. Mit anderen Worten konkret und akut: Gesundheit und Immunsystem auf natür­liche Weise stärken und uns natürlich impfen lassen – nicht entweder oder.

Die Religionen haben gemeinsam, dass die Gefährdung von unschuldigem Leben zum Schlimmsten gehört, wessen sich Menschen schuldig machen können. Wir alle können beitragen, was nötig ist, um Corona weltweit zu besiegen und um eine gerechtere Welt des Miteinanders zu verwirklichen!


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BERICHTE  –  NOTIZEN  –  TIPPS

 

Berichte von Veranstaltungen

Gott ist schön – und sogar der Karmelitersaal kann schön sein
Judentum, Christentum und Islam begegnen sich in der Kunst der Kalligraphie von Shahid Alam

von Stefan Jakob Wimmer

So schön war dieser Saal noch nie – diesen Eindruck haben viele geteilt, die zwischen 10. Oktober und 5. November 2021 die Ausstellung mit Kalligraphien des Künstlers Shahid Alam im Karmelitersaal am Promenadeplatz besucht haben. Der säkularisierte und baulich stark veränderte ehemalige Kirchenraum erhielt für ein paar Wochen etwas von seiner Sakralität zurück – wenn auch auf ganz andere Weise, als man es mit einer katholischen Klosterkirche verbinden würde. Wer ihn betrat, fand sich von orientalisch geprägter Ästhetik umgeben, die ganz unwillkürlich die Assoziation „islamisch“ weckt und nährt. Das hatte durchaus seine Stimmigkeit, denn für Shahid Alam, der 1952 in Pakistan geboren wurde und seit 1973 in Deutschland lebt, ist – ganz in der Tradition des Islams, in der er verwurzelt ist – die arabische Schrift das Medium seiner Kunst. Die Texte, die zu bestaunen waren, waren aber nicht nur dem Koran, sondern auch dem Alten und dem Neuen Testa­ment und anderen Quellen entnommen. So standen zentral in der Blickachse drei große, rote Tafeln, die nebeneinander das jüdische Hauptgebet Schma-Israel, Verse aus der Licht-Sure des Korans und den Beginn des Johannesevangeliums in den Mittelpunkt rückten. Der Titel dieser Arbeit: „Kinder Abrahams“. Worte von Mysti­kern wie Rumi und Ibn Arabi, von Dichtern wie Rilke und Hölderlin, natürlich Goethe und sogar Luthers „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ waren eindrucksvoll als arabische Schrift-Bilder umgesetzt. (Siehe auch „Texte zum Nachdenken“)

Dazu boten die Organisatoren ein Begleitprogramm auf, mit kalligraphischen Live-Inszenierungen und Workshops durch den Künstler, mit bewegter und bewegender Musik und einer Buchvorstellung von Karl-Josef Kuschels „Goethe und der Islam“, das mit Kalligraphien illustriert ist, die in der Ausstellung zu sehen waren.

Zu danken ist Friedrich Bernack von der Domberg-Akademie Freising (inzwischen im Ruhestand) für den ersten Anstoß, Andreas Renz vom Fachbereich Dialog der Reli­gionen des Erzbischöflichen Ordinariats für die maßgebliche Organisations­ar­beit, Missio für großzügige Finanzierung, dem Münchner Forum für Islam und vielen frei­willigen Helfern, auch von den Freunden Abrahams, die ebenfalls Kooperations­part­ner waren. Zu wünschen bleibt, dass wir Shahid Alam bald wieder in München erleben dürfen.

Utopie Ur

von Brigitte Hutt zum Vortrag „Wie lebte es sich in Ur im 19. Jh. vor Christus?“ am 18.11.2021

Stellen Sie sich einmal eine Gesellschaft vor, in der Mann und Frau partnerschaftlich ihren Geschäften nachgehen, in Verwaltung, Handel und Landwirtschaft, beide hoch­gebildet, bewandert in Literatur und den Wissenschaften, in der die Kinder eine gute Schulbildung in kleinen Klassengruppen genießen, in der Hygienestandards herr­schen, die es ermöglichen, dass die Menschen bei bester Gesundheit sehr alt werden … – Utopie, meinen Sie? Für das nächste Jahrhundert?

Im Gegenteil. So schilderte Prof. Dr. Adelheid Otto das Ur im Südirak, in dem sie bei mehreren Grabungen aktiv war, das Ur, das im Altertum direkt am Persischen Golf lag und eine blühende Stadtgesellschaft darstellte. Das Ur, auf das wir den Stammvater Abraham zurückführen. Heute ist da vor allem eine sandige Fläche zu sehen, die ihre Geschichte unter der Oberfläche bewahrt, gar nicht so tief, die mit Mauerresten die Stadt und mit einer Unmenge beschriebener Tontafeln das Leben ihrer Bewohner*innen der Nachwelt bewahren konnte. Einen Mondgott und eine Mondgöttin hatten sie, die Gestirne waren ihnen heilig, die gebildetsten Frauen (!) versahen den Tempeldienst – Wissenschaft und Religion schlossen sich nicht aus.

Bereits seit den 1920er Jahren wurde und wird hier gegraben. Der Archäologe Leonard Woolley hat damals ein Areal freigelegt, das bis heute unter dem Namen Abraham’s House läuft. Dem hat der Papst im März 2021 einen Besuch abgestattet (siehe auch https://www.freunde-abrahams.de/wp-content/uploads/2021/03/Auf-Abrahams-Spuren.pdf), und in dieser – oder besser: in einer solchen Gesellschaft können wir uns den Stammvater unserer Religionen vorstellen, gebildet und emanzipiert in jeder Hinsicht des Wortes. Bleibt die Frage, ob Abrahams (geistige) Nachkommen eines Tages eine solche Gesellschaft wieder errichten können?

Dachauer Dialoge: Max Mannheimer

Filmvorführung und Gespräch – Nachgedanken von Brigitte Hutt

Im September 2016 starb Max Mannheimer, ein Jude, der wie kaum ein anderer seit Jahrzehnten jungen Menschen von seinen KZ-Erfahrungen erzählt hat. Ohne dieses Erzählen und ohne seine Malerei wäre er in Depressionen versunken nach all den Schrecken, die er erfahren hat. Das Erstaunliche an ihm: Seine Menschenliebe und sein Humor waren bis zuletzt ungebrochen, und so war er der personifizierte Brückenbauer. Ihn erlebten die Teilnehmenden an diesem Abend auf der Leinwand.

Schwester Elija Boßler vom Karmelitenkloster Heilig Blut in der KZ-Gedenkstätte Dachau war lange Jahre mit ihm befreundet. Gespräche der beiden hat Regisseur Michael Bernstein im Jahr 2015, also in Max Mannheimers letztem Lebensjahr, aufgezeichnet, Gespräche verbunden durch kurze Filmszenen, die ihn, seine Dialog­partnerin und diverse Blicke in KZ-Gelände, -Gebäude, -Zäune den Zuschauern nahebrachten. Ein Wechselbad aus Menschlichkeit, Liebe und Schrecken. Ein sehr per­sön­liches Zeugnis nicht nur des Verstorbenen, sondern auch der Ordens­schwester, die zuweilen mit ihm regelrecht gestritten hat, beispielsweise über Verge­bung und Wachhalten der Erinnerung. Das illustriert sie auch in dem Gespräch, das an diesem Abend auf den Film gefolgt ist.

Max Mannheimer erzählt im Film unter anderem von seinen Zweifeln an Gott, die ihm kamen, als er im KZ neben einem Toten erwachte, aber auch von seiner Erkenntnis, dass man gerade dann, wenn man zweifelt, zugleich beten solle. Er betont, dass er sich in all den Jahren, die er nach der KZ-Zeit gelebt hat, „geschützt und gestützt“ gefühlt hat, und dass er gelernt hat, nach vorn zu schauen. Schwester Elija greift den Gedanken des Zweifels an Gott auf ihre Art auf: Sie prangert an, dass die Menschen Gott verantwortlich machen, wenn etwas Schlimmes passiert, aber ihn gern vergessen bei allem Guten, das ihnen begegnet.

Beide, so möchte ich zusammenfassen, glauben auf ihre je eigene Art an einen allgegenwärtigen Beschützer, der über oder auch um uns ist, der uns aber nicht einschränkt. Wir sind nicht Gottes Marionetten, sondern Gottes Kinder, und wer Kinder hat, weiß, dass man sie ihren eigenen Weg gehen lassen muss, auch mit dem Unguten in ihnen (das immer da ist). Man kann Gott verlassen, man kann zu ihm zurück­kehren. Nicht Gott macht sich schuldig, das sind wir Kinder selbst. Und, last but not least: Das ist unabhängig von jeder geprägten oder institutionalisierten Religion. Das hat dieser Film aufs Deutlichste bezeugt.


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NEU: Freunde Abrahams digital und sozial

ein Aufruf von Brigitte Hutt

In den letzten zwei Jahren haben wir es (noch) mehr als zuvor gespürt, wie sehr unsere Gesellschaft sich auf digitale Kommunikation stützt, und oft war und ist das in Zeiten von „Lockdown“ und Kontaktbeschränkungen ein Segen. Nicht nur das weltweite Netz und der E-Mail-Verkehr, auch die so genannten sozialen Medien sind aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken. Zur Erinnerung: Als „social media“ werden die Internet-Plattformen bezeichnet, die wie virtuelle Marktplätze eingerichtet sind: Man betritt sie, ruft Nachrichten in die Runde und hofft, dass möglichst viele andere Plattformbenutzer*innen davon erreicht werden und reagieren. Unterstüt­zend dabei ist das Konzept der „Freunde“ und „Follower“: Benutzer*innen, die die Informationskanäle anderer abonniert haben und somit über neue Inhalte in diesen Kanälen direkt informiert werden. Je mehr Follower, desto mehr Menschen kann ich oder können wir sehr schnell erreichen.

Auch die Freunde Abrahams kommen an dieser Entwicklung nicht vorbei, denn eines unserer wichtigsten Ziele ist es, möglichst viele Menschen nicht nur zu interreli­giösem Dialog einzuladen, sondern auch mit religionswissenschaft­lichen Grund­lagen vertraut zu machen, die so manchen – derzeit wieder heftig aufflammenden – Verschwörungstheorien entgegensteuern können, indem sie Themen in die richtige Perspektive rücken.

So haben wir nun beschlossen, im Jahr 2022 gute und lebendige Auftritte auf Facebook, Instagram und Twitter aufzubauen. Eine externe Expertin ist hinzuge­zogen, die Auftritte sind eingerichtet. „Folgen“ Sie uns jetzt auf

www.facebook.com/FreundeAbrahams
www.twitter.com/FreundeAbrahams
www.instagram.com/FreundeAbrahams

Aber auch Ihre Mitwirkung kommt dabei ins Spiel: Gern wüssten wir, wer von Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, auf einem dieser Medien bereits unterwegs ist, damit wir uns miteinander vernetzen können! Mögen Sie uns bei unseren Bestrebungen, auch in der Social-Media-Welt anzukommen, unterstützen? Mögen Sie uns, wenn vorhanden, Ihre Social-Media-Adressen, Ihre Accounts mitteilen?

Oder mögen Sie die auf uns zukommenden Kosten mit einer Spende unterstützen? Wir freuen uns über jeden Beitrag ebenso wie auf jede Zuschrift an info@freunde-abrahams.de oder rundmail@freunde-abrahams.de.

Und noch ein Wort zum Abschluss: Oft genug wird über das eher unsoziale Benutzen der sozialen Medien geschrieben, über Verbreitung fragwürdiger Informa­tionen – das können wir nur ändern, indem wir selbst teilnehmen!


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Menschen in München

Die MontagsMeditationen im Haus der Kulturen und Religionen

Die Freunde Abrahams wirken im Vorstand des Hauses der Kulturen und Religionen mit. Gerne können Sie montags um 18:00 Uhr an einem halbstündigen spirituellen Angebot teilnehmen. Hier gestalten alternierend die beteiligten Religionsgemein­schaften eine Meditation oder Andacht mit Impulsen zum Nachsinnen.

Das Programm und den Link zu den „MontagsMeditationen“ finden Sie hier:
https://hdkrm.org/veranstaltungen/montagsmeditation/ – sie werden teils online, teils hybrid angeboten.

Der folgende Beitrag entstammt der Montagsmeditation vom 21.07.2021 im Münchner Forum für Islam. Es lohnt sich, auch beim Nachlesen zwischendurch zu pausieren, um den Gedanken Raum zu geben.

Die Namen und Eigenschaften Gottes

von Imam Belmin Mehić

Gott offenbart uns im Koran, dass Seine Namen die schönsten Namen sind und lädt die Menschen dazu ein, Ihn mit diesen Namen anzubeten: „Und Gott hat die schönsten Namen, ruft Ihn damit an.“ (Sure 7:180) Gott berichtet uns von Seinen Namen und Seinen Eigenschaften nicht nur, um sich mit diesen an Ihn zu wenden, sondern um den Menschen ein Vorbild für die Entwicklung ihrer Eigenschaften aufzuzeigen. Der Prophet Mohammed erläutert uns diesbezüglich: „Gott hat 99 Namen, einhundert minus einen, und wer sie verinnerlicht, wird ins Paradies ein­gehen.“ (überliefert von Bukhari und Muslim). Mit dieser Aussage verdeutlicht uns der Prophet, dass Gott 99 Namen hat und der Weg zum Paradies über die Verinnerlichung dieser Namen und Eigenschaften führt. Der Sinn dahinter ist, sich von ihnen inspirieren zu lassen.

Einer der Namen Gottes ist Al Wadud, den wir als „Der Liebende“, „Der mit Seiner Liebe alles Umfassende“ übersetzen könnten. Bemerkenswerterweise wird genau diese Art der Liebe im Koran gleichfalls zwischen Mann und Frau erwähnt: „Und Er hat zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit gesetzt.“ (30:21) Diese Form der Liebe wird – abgeleitet von Wadud – als Mawaddah bezeichnet. Dies impliziert, dass die Liebe, die dem Menschen von Gott gewährt wird, auch zwischen zwei Menschen herrschen soll. Genauso wie Gott Seine Liebe den Menschen zugutekommen lässt, ist der Mensch dazu aufgefordert, liebevoll seinen Mitmenschen zu begegnen: „Und tue Gutes, wie Allah dir Gutes getan hat.“ (Sure 28:77)

Der zweite Name Gottes, der Menschen in ihrem Umgang miteinander inspirieren soll, ist Ar-Rahman – der Barmherzige. Daraus wird die Eigenschaft Rahmah – Barm­herzigkeit abgeleitet. „Und Er hat zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit gesetzt“ (30:21). Rahmah ist ein universeller Begriff in der islamischen Kultur, welcher von den Mitgliedern fast aller muslimischen Gesellschaften in gleicher Weise verstanden wird. Die gesamte Mission des Propheten Mohammed wird im Koran mit einem Satz zusammengefasst: „Und Wir haben dich nur als eine Barmherzigkeit für die Welten­bewohner gesandt.“ (21:107).

Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass der Prophet in einer seiner Äuße­rungen diese Eigenschaft als die Voraussetzung des Glaubens darstellt: „Ihr werdet nicht glauben, bis ihr zueinander barmherzig seid!“ Seine Gefährten entgeg­neten: „Gesandter Allahs, wir sind alle barmherzig.“ Er sagte: „Es ist nicht die Barm­her­zig­keit eines von euch gegenüber einem Freund, sondern die Barmherzigkeit allen Menschen gegenüber!“ (überliefert von Tabarani)

Bemerkenswerterweise begrenzt er seine Aussage nicht auf das Verhalten der Muslime untereinander, vielmehr fordert er zu einer Haltung der Barmherzigkeit auf, die allen Menschen gilt.

Barmherzigkeit als eine der Eigenschaften Gottes weist im menschlichen Kontext ein breites Spektrum auf: Barmherzig zu sein heißt beispielsweise die Bereitschaft, jemandem seine Missetaten dir gegenüber verzeihen zu können. An zahlreichen Stellen im Koran werden die Menschen dazu aufgefordert, Barmherzigkeit durch Vergebung zu erweisen: „Sie sollen verzeihen und nachlassen.“ Dem Gebot folgen die Fragen: „Liebt ihr es selbst nicht, dass Gott euch vergibt? Gott ist voller Verge­bung und barmherzig.“ (24:22)

Barmherzig zu sein bedeutet, das Gute in den Menschen zu suchen, und sie, auch wenn sie Böses tun, nicht von der Gnade Gottes auszuschließen. Der Koran zitiert die Worte des Propheten Abraham, der Gott mit der Bitte anspricht: „Wer mir nun folgt, der gehört sicher zu mir; und wer mir nicht gehorcht – siehe, Du bist allver­zeihend, barmherzig.“ (14:35)

Ein anderer Seiner erhabenen Namen ist As-Sabur – der Geduldige, der trotz der Tatsache, dass Er allzu oft vergessen wird und die Menschen täglich Sünden bege­hen, sie weder sofort bestraft noch ihre Versorgung wegnimmt, sondern ihnen die Zeit gibt, um den Weg zu Ihm zu finden.

Allah ist Al-Ghafur und Al-Ghaffar zugleich: Der stets Vergebende und Verzeihende. Unabhängig davon, wie oft der Mensch sich reuevoll an Gott wendet, gibt Gott ihm immer wieder Zeit, umzukehren, seinen Zustand zu verbessern. Darüber hinaus ist mit diesen Namen eine weitere Bedeutung verbunden, nämlich Einer, der Fehler verbirgt, so dass die Missetaten eines Menschen in den Augen anderer Menschen nicht sichtbar werden. Diese beiden Eigenschaften, die Geduld und die Vergebung, bzw. das Verbergen der Fehler anderer, sind göttliche Eigenschaften, die der Koran in den zwischenmenschlichen Beziehungen besonders hervorhebt. Obwohl denjeni­gen Vergeltung erlaubt wird, denen Unrecht getan wurde, empfiehlt der Koran: „Und wahrlich, wer geduldig ist und vergibt (oder das Schlechte ihm gegenüber verbirgt) – das ist gewiss eine Tugend der Entschlossenheit in allen Dingen.“ (42:43) Anders gesagt, sei geduldig in deinem Umgang mit deinen Mitmenschen und präsentiere ihre Missetaten nicht den Augen der Öffentlichkeit!

Durch die Eigenschaften Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung, die wir im Alltag praktisch umsetzen, lernen wir tatsächlich den Schöpfer kennen, der die Quelle dieser Werte darstellt. Aus diesem Grund haben frühere Gelehrte gesagt: „Wer sich selbst kennt, kennt seinen Herrn.“

Möge Gott uns mit Seinen Eigenschaften prägen!

 

Hüterin der Erinnerungsarbeit – die neue Leiterin der Katholischen Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte Dachau

porträtiert von Eva Straub-Kölcze

Seit Oktober 2021 ist Judith Einsiedel, Mitglied im Vorstand der Freunde Abrahams, Bischöfliche Beauftragte für KZ-Gedenk­stätten­arbeit.

Das Anliegen der Versöhnungs- und Erinnerungsarbeit begegnete Judith Einsiedel in vielfacher Gestalt. Schon während des Studiums in Würzburg entdeckte sie die „Nagelkreuz“-Gemeinschaft. Auf dem Altar in Coventry steht das originale Nagel­kreuz aus drei Zimmermannsnägeln, die die Balken des Deckengewölbes der von deutschen Bombern 1940 zerstörten Kathedrale zusammengehalten hatten. Wie in Würzburg steht es heute als Zeichen der Versöhnung an vielen Orten der Welt, wo sich Menschen die Aufgabe stellen, alte Gegensätze zu überbrücken und nach neuen Wegen für eine gemeinsame Zukunft zu suchen.[1] Genau diese Haltung prägt Judith Einsiedels Wirken bis heute.

Ihr beruflicher Ausbildungsweg war zielstrebig und vielfältig zugleich: Auf das Studium des Gymnasiallehramts in Würzburg für die Fächerkombination Englisch/ Latein und das Referendariat am Wittelsbacher-Gymnasium München folgte das Studium der Katholischen Theologie an der LMU. Daran schloss sich eine mehr­jährige Ausbildung zur Pastoralreferentin an. In dieser Funktion arbeitete Judith Ein­sie­del in verschiedenen Münchner Gemeinden von 2017 bis 2021. Ein Studien­aufenthalt in Israel, der das interreligiöse Bewusstsein maßgeblich beeinflusste, sowie zwei Volontariate für die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste verfeinerten und verstärkten ihr Profil als Anwältin für Friedensarbeit und Erinnerungskultur.

Dieses Grundanliegen spiegelt sich auch in den zentralen Aufgabenbereichen der gegenwärtigen Einsatzstelle wider: Begleitung von Rundgängen über das Gelände der KZ-Gedenkstätte, Gestaltung und Koordination eines Erwachsenenbildungs­programms in Kooperation mit anderen Dachauer Bildungsträgern sowie diverse seelsorgerische Tätigkeiten. Hier sieht Judith Einsiedel die Chance für Bezugspunkte zum interreligiösen Dialog, angefangen von multireligiösen Friedensgebeten bis hin zu Angeboten im Dachauer Bildungsprogramm, in denen die Themen der Freunde Abrahams in Zukunft hoffentlich verstärkt Platz finden können. Begegnungstreffen mit Jugendlichen verschiedener Religionen und Kulturen, Vorträge mit Überleben­den von Verfolgung, Mord und Entwürdigung – in der Erinnerungsarbeit begegnen sich Vergangenheit und Zukunft. Im Dialog der Generationen ereignen sich somit Erinnerung und Neubesinnung auf die gemeinsamen gesellschaftlichen Werte, allen voran des Friedens und der Menschlichkeit. Das ist das Zentrum der Arbeit von Judith Einsiedel.

[1]
Der damalige Dompropst Richard Howard ließ die Worte „Vater vergib“ in die Chorwand der Ruine der Kathedrale von Coventry meißeln. Diese Worte bestimmen das Versöhnungsgebet von Coventry. Das Gebet wurde 1959 formuliert und wird seitdem an jedem Freitagmittag um 12 Uhr im Chorraum der Ruine der alten Kathedrale in Coventry und in vielen Nagelkreuzzentren auf der ganzen Welt gebetet.

 

Münchens Beauftragter für den interreligiösen Dialog
Ein Interview mit Marian Offman

Marian Offman2021 wurde die ehrenamtliche Stelle eines Beauftragten der Landeshaupt­stadt München für den interreligiösen Dialog geschaffen. Dem ehemaligen Stadtrat Marian Offman (2002-2020; bis 2019 CSU, dann SPD) ist sie gewissermaßen auf den Leib geschnitten. Sein vielfältiges Engagement kam auch in der „Abrahams Post“ wieder­holt zur Sprache. Zu einer Auftakt­veranstaltung am 15. November 2021 im Rathaus­saal war Prof. Dr. Wimmer für die Freunde Abrahams eingeladen, zusammen mit Vertreter*innen des Stadtrats und der Stelle für interkulturelle Zusam­menarbeit, mehrerer jüdischer, christlicher und muslimischer Gruppierungen, von Buddhisten, Baha’i, Jesiden, der Humanistischen Vereinigung und interreligiös ausgerichteter Institutionen.

Das Interview führte Prof. Wimmer am 18.1.2022 per Telefon. Es wird hier redigiert und (leicht) gekürzt wieder­ge­geben.

Herr Offman, wie kam es dazu, dass Sie Beauftragter für den interreligiösen Dialog wurden?

Es war zunächst vorgesehen, dass ich die Position eines Antisemitismus­beauftragten einnehmen würde. Das hat sich aus verschiedenen Gründen nicht als der richtige Weg erwiesen. Und letztendlich ist ja die Funktion eines Antisemitismusbeauftragten, auch aus meiner ganz persönlichen Perspektive, der Versuch, ein Miteinander zu schaffen zwischen den Religionen und auch zwischen den Ethnien. Wenn man natür­lich einmal absieht von der konkreten Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorfällen und dergleichen. Was ich in den 18 Jahren meiner Stadtratstätigkeit schon häufig gemacht habe, war, für ein Miteinander der Religionen einzutreten, und zwar als Jude. Das wurde meines Wissens so in der Politik noch nie praktiziert. Vor allem ging es mir auch um ein Miteinander zwischen Menschen jüdischen und islamischen Glaubens. Ich glaube, dass das letztendlich das Kernthema ist. Und dann war es eigentlich naheliegend, dass man sagte, um das zu erreichen, könnte man diese Aufgabe weiter fassen, im Sinne eines Beauftragten für den interreligiösen Dialog. So hat sich das entwickelt. Und mir ist diese Aufgabe jetzt lieber als die Reduzierung auf die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus.

Sie haben im vergangenen November Personen aus den Religionsgemein­schaften und interreligiösen Institutionen ins Rathaus eingeladen zu einem ersten Treffen. Planen Sie solche Zusammen­künfte häufiger einzuberufen?

Wegen der Pandemielage ist es bisher bei dem ersten Treffen geblieben, ich will ja niemanden in gesundheitliche Gefährdung bringen. Aber ich könnte mir das drei- bis viermal im Jahr vorstellen: eine Einladung an Vertreterinnen und Vertreter der Religionen, die sich engagieren für das Miteinander. Das müssen nicht die Spitzen der Institutionen sein, sondern einfach Bürgerinnen und Bürger, die sich um ein Miteinander im religiösen Bereich, aber auch unter den Ethnien, bemühen und aktiv sind. Sie sollen ein Forum bekommen, in dem sie sich äußern können, wo sie Vorschläge unterbreiten können, wo man dieses Bestreben bündeln kann. Das ist meine Absicht. Die Erfahrung aus meiner langjährigen Stadtratstätigkeit ist, dass man Menschen, die etwas erreichen wollen, die für etwas brennen, die Leidenschaft entwickeln, dass man denen ein Forum geben muss, um ihre Arbeit fortzusetzen.

Seit 2016 gibt es in München den Rat der Religionen. Welche Berührungen und Überschneidungen sehen Sie da mit Ihrer Funktion?

Meine erste offizielle Handlung, nur etwa eine Woche nach meiner Benennung, war, dass ich zu dem interreligiösen Friedensgebet ging, das der Rat der Religionen am St.-Jakobs-Platz veranstaltet hat. Bei der anschließenden Vollversammlung des Rates durfte ich mich dort vorstellen und ein paar Worte sagen zu dem, was ich vorhabe. Da war natürlich alles noch ziemlich frisch. Ich nannte meine Ziele, und das oberste Ziel für mich ist das Miteinander aller Religionen, und dass wir uns auf einen ge­mein­samen Wertekanon einigen, den wir dann auch nach außen tragen. Und natür­lich ist es so, wenn ich von der Landeshauptstadt beauftragt bin, dass es dann auch um den Kontakt in die Stadtgesellschaft, aber auch in die Verwaltung und in die Stadtpolitik hinein geht. Ich verfüge da ja nun über gute Kontakte, auch zum Oberbürgermeister und den Referent*innen. Das kann dann ja auch für die Religi­ons­gemeinschaften von Nutzen sein, wenn sie ein Sprachrohr in die Stadtverwaltung haben. Wobei ich da überhaupt keine Konkurrenzsituation sehe, sondern in allen Dingen auch hier nur ein Miteinander.

Sie haben im Vorstand der IKG als Vizepräsident amtiert, waren lange Jahre in der CSU, sind jetzt in der SPD. Sie sind unter anderem auch Mitglied im Kuratorium des Münchner Forums für Islam. Empfinden Sie diese bemerkenswerte Breite manchmal als einen Spagat?

Ich war Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde und dort dreißig Jahre im Vorstand, aber ich will in meiner Funktion jetzt unabhängig sein, auch etwa der Liberalen Jüdischen Gemeinde gegenüber. Als Beauftragter will ich keiner jüdischen Institution, so wenig wie einer Kirche oder Moschee, verpflichtet sein.

Das ist überhaupt kein Spagat. Sehen Sie, vom Alten Testament, der Hebräischen Bibel, mit den 613 Geboten und Verboten, leiten sich Werte der Zivilisation und der Gesellschaften ab. Diese Werte finden sich in allen Religionen. Die finden sich im Islam. Und zum Neuen Testament gibt es Forschungen – das werden Sie besser wissen –, wonach es sich zu weiten Teilen vom Talmud ableitet. Also, es hängt alles ganz eng miteinander zusammen.

Es gibt ja diesen großen Dissens zwischen Juden und Arabern, was Israel und den Nahen Osten betrifft. Dabei spüre ich aber immer mehr, gerade unter jungen Musli­men, die hier in München geboren sind, dass sie eine größere Nähe zum Judentum als zum Christentum fühlen. Und zwar auch deshalb, weil sie auch eine Minorität in der christlichen Mehrheitsgesellschaft sind. Insofern ist es für mich nicht nur kein Spagat, sondern eine große Freude.

Mir ist gesagt worden, dass meine Funktion nichts anderes sei als ein Lobbyist der Religionen. So verstehe ich das auch. Und zwar als ein Lobbyist der Religionen mit der Aufgabe, die Religionen in ihrer Verschiedenheit zusammenzuführen, also in versöhnter Verschiedenheit.

Wie leider schon viel zu oft, häufen sich aktuell wieder antisemitische Vorfälle in München. An der Baustelle für das Seniorenheim der IKG in Bogenhausen gab es Schmierereien, vor wenigen Tagen erst wurden in Berg am Laim wüste Beschimpfun­gen in die vereisten Scheiben eines Pkw geritzt. Bei den Aktionen von Corona-Leugnern und Impfverweigerern kommt es sogar zu Vergleichen mit der NS-Zeit. Antisemitismus ist immer ein Gift für die Gesamtgesellschaft, in der er auftritt. Wie gehen Sie damit um?

Ich bin selbst in der Öffentlichkeit weder antisemitisch beschimpft noch bedroht worden. Allerdings trage ich keine Kippa und bin äußerlich kaum als Jude erkenn­bar. Demonstriere ich allerdings gegen Neonazis oder gegen Islamfeinde, werde ich mit antisemitischen Stereotypen konfrontiert. So ruft ein Islamgegner in der Fuß­gängerzone laut in das Mikrofon, nachdem er mich sieht, der Jude Marian Offman solle doch auf seiner Seite stehen, denn die Muslime wollten ihn doch – so stünde es im Koran – töten. Oder der ehemalige Neonazi-Stadtrat postet auf seiner Website ein Foto von mir, auf dem ich herzlich lache, und untertitelt es so: „Da wird dem Offman schon noch das Lachen vergehen, wenn er von unserem guten Wahlergeb­nis erfahren wird.“ Da zitiert er den Streicher aus seiner berüchtigten Rede mit seiner Forderung nach Vernichtung des Judentums. Eine Todesdrohung des Neonazis? Was mich dabei besonders bedrückt: Die Gerichte lassen die Neonazis gewähren, und die Straftat der Volksverhetzung wird in den allerwenigsten Fällen anerkannt. Ob ein AfD-Politiker auf dem Marienplatz den Hitlergruß zeigt, ob einer seiner Kollegen den Holocaust relativiert, ob ein Neonazi in Anlehnung an eine Nazikari­katur auf einem Flyer den „Volksverräter Offman“ mit einem Besen aus dem Stadtrat kehrt – für die Justiz ist das alles nicht justiziabel. Zunächst hatte eine mutige Rich­terin am Amtsgericht wegen dieses Flyers den Neonazi wegen Beleidi­gung verurteilt. Das Urteil wurde letzte Woche aber vom Landgericht kassiert. Über Geschmack ließe sich streiten, und die Karikatur sei eher witzig, so meinte der Richter! Solange die Gerichte so lasch mit diesen Straftaten umgehen, soll sich niemand wundern, wenn die verbale Gewalt am Ende in Mord und Totschlag mündet.

Dennoch. Ich persönlich lasse mich von Antisemitismus nicht kleinmachen. Und ich sehe mich auch nicht als Opfer des Antisemitismus. Und dann gibt es ja auch noch Antiziganismus und Islamophobie, und sogar Vorurteile gegen Menschen, die von Sozialhilfe leben. Und – man möchte es nicht glauben – manche Menschen haben sogar Vorurteile gegenüber Behinderten! Das sind alles oft dieselben, die auch Antisemiten sind. Das zeigt für mich, wes Geistes Kind sie sind.

Sie wurden 1948 in München geboren, der Stadt, die sich kurz zuvor noch als „Hauptstadt der Bewegung“ gesehen hat. Seitdem hat München in vielerlei Hinsicht gewaltige Veränderungen vollzogen, die Sie größtenteils miterlebt haben. Sehen Sie München als Ihre Heimat?

Ich bin der Stadt sehr dankbar. Ich habe die ersten fünf Jahre meines Lebens zwar nicht in München verbracht, sondern in Kanada. Und ich kann sagen, dass meine ersten dreißig, vierzig Lebensjahre zeitweise massiv vom Holocaust geprägt waren. Auch dann, wenn niemand drüber spricht, hat das Auswirkungen. Und es ist ein Teil der Persönlichkeit. Ich arbeite das gerade in einem Roman auf, mit autobiogra­phischen Zügen, der demnächst erscheinen wird.

In München habe ich fast mein ganzes Leben verbracht, war auf dem Gymnasium, habe an der Uni studiert, war lange im Stadtrat, wobei die jüdische Herkunft immer eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Wie in vielen anderen Bereichen meines Lebens auch. Ja, München ist meine Heimat, das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Da sind so viele Orte, die eine wichtige Rolle im Leben gespielt haben. Die in den Erinnerungen präsent sind. Und wenn ich an etwas denke in meinem Leben, dann sehe ich vor mir den Ort, an dem ich war. Ich sehe den Marienplatz, oder ich sehe das Standesamt in der Mandlstraße (hier unterlief Herrn Offman ein sympathischer Versprecher: er sagte: „in der Mandelbaumstraße“; SJW). So ist man mit seiner Heimat stark verwoben. Das gilt auch für negative Dinge, die sieht man auch. Aber München ist meine Heimat. Keine Frage.

Im vergangenen Jahr wurde eine Städtepartnerschaft zwischen München und Beerscheva begründet (siehe Abrahams Post 39, S. 25). Sind Sie involviert?

Das hat ja nicht unmittelbar mit Interreligiosität zu tun. Meine Tochter ist mit einem Israeli verheiratet, der kennt Beerscheva sehr gut. Ich habe viele Verwandte in Israel. Israel ist für mich natürlich auch Heimat, wie München. Und der jüdische Staat ist für mich auch ein möglicher Zufluchtsort, wenn sich wiederholen sollte, was ich nicht hoffe und nicht glaube, was schon mal war.

Danke, Herr Offman, alles Gute und viel Erfolg für Ihre neue Tätigkeit!
Alles Gute und viel Erfolg


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Blick über den Tellerrand

Zur Verantwortung der Kirche

Am 20. Januar 2022 wurde das Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising veröffentlicht. Wir dürfen dazu mit freundlicher Genehmigung des Autors einen Kommentar des Publizisten Norbert Reck über­nehmen, der am 22.1.2022 im Bayerischen Rundfunk als Beitrag zu „Bayern 2 zum Sonntag“ gesendet wurde.

Am Donnerstag wurde das lang erwartete unabhängige Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum München-Freising veröffentlicht. Es zeigt, dass dort vielfach Missbrauchsverbrechen geschahen und kirchliche Amtsträger sie ignorierten oder nicht der Strafverfolgung meldeten. Nächste Woche wird das Erzbistum mit einer eigenen Pressekonferenz darauf reagieren. Man darf gespannt sein: Wird man wieder nur die sattsam bekannten Worthülsen von Betroffenheit und Mitgefühl mit den Opfern hören? Oder wird es zu echter Verantwortungsübernahme kommen?

Wie das aussehen müsste und könnte, ist seit Jahrhunderten bekannt. Der große jüdische Philosoph des Mittelalters, Maimonides, hat anhand von biblischen und rabbinischen Aussagen ein Programm von drei Schritten entwickelt, wie wir mit unserer Schuld umgehen können. Und der heilige Thomas von Aquin, einer der bedeutendsten Lehrer der Kirche, hat das für die Kirche eins zu eins übernommen. Danach geht es erstens um ehrliche Reue über das Vorgefallene, die contritio cordis, die „Zerknirschung des Herzens“, wie Thomas formulierte. Zweitens braucht es das öffentliche Eingeständnis der Taten, die confessio oris. Das heißt, man muss sich zu seinen Taten persönlich bekennen, man kann nicht bloß allgemein von Verantwor­tung reden. Drittens schließlich müssen praktische Konsequenzen gezogen werden, eine satisfactio opere muss her, ein Ausgleich für die Schäden, die die Opfer erlitten haben. Rücktritte wären hier keineswegs das erste, auch nicht, die Opfer finanziell zu entschädigen. Vielmehr muss bleibende Verantwortung für das Wohlergehen der Opfer übernommen werden. Daran lässt Maimonides keinen Zweifel: Der reuige Täter ist für sein Opfer verantwortlich, nicht nur eben mal kurz, sondern bleibend. Und er muss dafür sorgen, dass das Geschehene sich nicht mehr wiederholen kann. Das ist der Weg der Buße.

Man sieht: Hier wurde ganz konsequent von den Opfern her gedacht: um sie muss es gehen, um ihr Weiterleben, nach all dem, was ihnen angetan worden ist. Es geht nicht darum, den Tätern wieder eine Art Seelenfrieden zu verschaffen. Sie gewinnen ihren Frieden nur wieder, wenn sie sich wirklich um konkrete Veränderung und ein neues Verhältnis zu ihren Opfern bemühen.

Ist das übertrieben streng? Wird da zu viel verlangt? Mir scheint, wir haben es bei diesem Dreischritt der Schuldbewältigung mit einer tiefen Einsicht in die Realität dieser Welt zu tun: Die Gewalt, die ein Täter in die Welt gebracht hat, sei es durch Handeln, Nichthandeln oder Komplizenschaft – diese Gewalt verschwindet nicht einfach mit ein paar Bitten um Entschuldigung. Auch nicht mit dem Tod des Täters. Die Wunden bleiben, die seelischen Traumata bleiben, die Ängste bleiben. Es muss etwas unternommen werden, damit Gerechtigkeit zum Zuge kommt, damit Heilung geschehen kann. Sonst ist es nur Blahblah. Und wenn die Täter nicht mehr da sind, dann sind die Nachfolgenden in der Verantwortung.

Eigentlich ist das gültige katholische Lehre. Wie oft wurde sie wirklich beherzigt und umgesetzt? Ich weiß es nicht – die Abkürzung mittels einfacher Vergebungsbitten ohne konkrete Taten wurde sicher häufig genommen. Hier scheint die katholische Kirche irgendwann falsch abgebogen zu sein: als sie sich nicht mehr um die Ver­letzten, Geschlagenen und Verachteten kümmern wollte, sondern um das Seelen­heil der Sünder.

An den Missbrauchsverbrechen zeigt sich, dass es dabei nicht mehr nur um das Versagen Einzelner geht, sondern auch darum, ob der Glaube des Jesus von Nazaret, dass Gott bei den Verletzten und Kleingemachten ist, – ob dieser Glaube in der katholischen Kirche noch eine Heimat hat. Nicht weniger als das steht auf dem Spiel, wenn das Erzbistum nächsten Donnerstag auf das Missbrauchsgutachten antworten wird.


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Gute Nachrichten

Alle Instanzen für die Meinungsfreiheit – gegen Antisemitismus

von Stefan Jakob Wimmer

Wir haben in der letzten „Abrahams Post“ (S. 28; wie schon mehrfach zuvor zu dem Vorgang) von einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, und zuvor des Verwaltungsgerichts München, berichtet, wonach der Stadtratsbeschluss von 2017 zur sogenannten „BDS“-Kampagne, unter Bezugnahme auf die IHRA-Definition von Antisemitismus, die Meinungsfreiheit unzulässig einschränke. Dagegen legte die Landes­hauptstadt Revision ein. Im Januar hat das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung der Vorinstanzen gegen die Stadt bestätigt.

Damit wäre nun endlich der Weg frei, den Stadtratsbeschluss zu revidieren, der dem Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs in unserer Stadt nun schon seit vier Jahren in verheerender Weise Vorschub leistet. Alle demokratischen Kräfte sind sich in München einig, dass der Kampf gegen Antisemitismus verstärkt und endlich effizient geführt werden muss. Um ihn auch vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts auf kompetenter Grundlage glaubwürdig aufzubauen, könnte und sollte die Landes­hauptstadt die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ (siehe „Abra­hams Post“ 39, S. 26f.) übernehmen. Das wäre dann wirklich eine gute Nachricht!

 

Vereinte Nationen (fast) vereint gegen Leugnung der Schoah

Am 80. Jahrestag der Wannsee-Konferenz nahm die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution an, mit der die Leugnung und Trivialisierung der Schoah verurteilt und dazu aufgerufen wird, in allen Mitgliedsstaaten Bildungsprogramme zur Aufklärung über die Schoah zu fördern. Staaten und Betreiberfirmen von social media werden zur aktiven Bekämpfung von Antisemitismus und Holocaust-Leug­nung aufgerufen. Die Resolution wurde von Israel und Deutschland gemeinsam eingebracht und ohne Abstimmung angenommen. Nur ein einziger Mitgliedsstaat, der Iran, distanzierte sich.

Text der Resolution: https://undocs.org/en/A/76/L.30

 

Unsere Liebe Frau von Arabien
Neue katholische Kathedrale in Bahrain

Im Königreich Bahrain, einer Inselgruppe zwischen Saudi-Arabien und Qatar mit etwa der Fläche von Hamburg (750 qkm) und der Einwohnerzahl von München (1,5 Mio.), wurde am 10. Dezember 2021 eine katholische Kathedrale geweiht. Sie hat Platz für 2.300 Gläubige und gehört zum Apostolischen Vikariat von Nordarabien, das außer Bahrain auch Saudi-Arabien, Qatar und Kuweit umfasst. Dort leben insgesamt rund 80.000 Katholiken, nahezu ausnahmslos Migranten aus Süd- und Ostasien, vor allem von den Philippinen.

Den Baugrund hatte König Hamad bin Issa Al Khalifa gestiftet. Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa, zugleich Premierminister des Landes, sprach dabei von der Verpflichtung, „Bahrain zu einem inspirierenden Modell bei der Förderung von Tole­ranz und Offenheit“ zu machen. Seit Jahren schwelt allerdings ein Konflikt zwischen dem sunnitischen Herrscherhaus und der schiitischen Bevölkerungs­mehrheit, und das politische System gilt als repressiv.

(Quelle: Vatican News, 10.12.2021)

 

Um Himmels Willen …

Die Religionsgemeinschaften in München haben sich zu einer gemeinsamen Kampagne entschlossen: Auf den Bildschirmen in U-Bahnen und ‑Bahnhöfen rufen sie zum Impfen auf – hier ein Foto aus einer U-Bahn:

Lasst euch impfen


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Buchtipps

Benjamin Idriz
Wie verstehen Sie den Koran, Herr Imam?
Grundgedanken für einen Islam heute und hier

Der erste Buchtitel von Imam Benjamin Idriz, Mitglied im Kuratorium und guter Freund der Freunde Abrahams, lautete „Grüß Gott, Herr Imam! Eine Religion ist angekommen“ (Diederichs Vlg. 2010) und ist inzwischen ein Klassiker. Es folgten Monographien zur Sunna („Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat…“, Edition Avicenna 2018) und zur Stellung der Frau im Koran („Der Koran und die Frauen“, Gütersloher Verlagshaus 2019). In seinem neuesten Werk zeigt er glaub­würdig und kompetent auf – als erster islamischer Theologe, Hafis und Imam in deutscher Sprache – wie Muslime und Nicht-Muslime den Koran richtig einordnen und verstehen können. Im Klappentext heißt es: „Eine inspirierend aufregende Sicht auf eine zu oft missverstandene Religion.“

Gütersloher Verlagshaus 2021, 256 Seiten, ISBN 978-3-579-07449-8, 20,00 €

Islamische Gemeinde Penzberg
Die Moschee – Die Menschen – Das Miteinander

Text und Redaktion Stefan König

2006 führte ein Tagesausflug der Freunde Abrahams nach Penzberg, zur damals neuen Moschee, zu Imam Benjamin Idriz und Vizedirektorin Gönül Yerli. Daraus sind bleibende Freundschaften entstanden und eine tiefe Verbundenheit, die in der „Abrahams Post“ immer wieder reflektiert wurde.

Ein wunderschön gestalteter Band zum 30-jährigen Bestehen der Gemeinde berichtet nun vom deutschlandweit bespiellosen Wirken dieser Gemeinde und doku­men­tiert die Höhen und Tiefen ihrer Geschichte. Spannend und bewegend von der ersten bis zur letzten Seite!

Gütersloher Verlagshaus 2021, 220 Seiten, ISBN 978-3-579-05484-1, 25,00 €

Neue Blätter Abrahams

Mit Heft 21 (2021) unserer Zeitschrift Blätter Abrahams, das etwas verspätet Anfang März 2022 erscheint, verändern wir nach zwanzig Jahren den Aufbau der Hefte. Die Beiträge werden jetzt inhaltlich gruppiert angeordnet, wodurch das Spektrum der Interessensfelder der Freunde Abrahams verdeutlicht wird. Unter Religions­geschichtliches, Jüdisches, Christliches, Islamisches und Kollektives sind vierzehn Beiträge von Manfred Görg (†), Stefan Einsiedel, Georg Gafus, Anna Janzen, Karl-Josef Kuschel, Peter Marinković, Nurten Öztürk, Andreas Renz, Stefan Jakob Wimmer und Gönül Yerli zu lesen. Ein Teil von ihnen dokumentiert Vorträge und Veranstaltungen der Freunde Abrahams aus dem letzten Jahr. Neu kommt unter der Sparte Das kreative Ende ein Beitrag unseres langjährigen (Vorstands-)Mitglieds Brigitte Hutt dazu. Sie wird auch künftig jedes Heft mit einem kleinen literarischen Element anreichern.

In Übereinstimmung mit der Bezeichnung der Freunde Abrahams als „Gesellschaft für religionsgeschichtliche Forschung und interreligiösen Dialog“ wird der Titelzusatz der Blätter Abrahams erweitert und lautet nun Beiträge zu religionsgeschichtlicher Forschung und interreligiösem Dialog.

Auch das gewohnte Erscheinungsbild wird moderat erneuert. Nach der Geschäfts­aufgabe von Knecht-Druck fanden wir in der Firma TRI-PUNKT Solutions einen neuen Partner zum Druck in der bewährten Weise, bei verändertem Einband.

Alle bisher erschienen Hefte der „Blätter Abrahams – Beiträge zum interreligiösen Dialog“, sind open access, also kostenfrei, online über die Website der Freunde Abrahams (www.freunde-abrahams.de/blaetter-abrahams) verfügbar. Ein Gesamt­ver­zeichnis über alle bisherigen Beiträge sowie ein Autorenverzeichnis ist Heft 20 (2020) angefügt.

Wir wollen aber bewusst weiterhin auch an der gedruckten Ausgabe festhalten. Dabei sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen. Wir bitten, die Blätter Abrahams zielgerichtet durch Spenden zu unterstützen. Gerne werden Spender namentlich oder auf Wunsch anonym in der Zeitschrift genannt.

Jedes gedruckte Heft ist einzeln zum Preis von 10,- € bzw. 5,- € (für Mitglieder) oder alle einundzwanzig Hefte zusammen für 160,- € bzw. 80,- € (für Mitglieder), zzgl. Versand, erhältlich. Mitglieder erhalten je 1 Exemplar nach Erscheinen gratis. In der Regel bitten wir hierzu um Abholung bei den Veranstaltungen.


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Texte zum Nachdenken – Worte für die Seele

Auf der letzten Seite wollen wir Ihnen Gedichte, Lieder oder kurze Texte zum Nachdenken und für die Seele mitgeben. Für Ihre Anregungen sind wir immer dankbar! – Das Gebet von Bischof Mussinghoff war als arabische Kalligraphie von Shahid Alam in der Ausstellung „Gott ist schön!“ zu sehen.

Gott ist Gott

Gott ist nicht katholisch.
Gott ist nicht evangelisch.
Gott ist nicht orthodox.
Gott ist nicht einmal christlich.
Gott ist nicht jüdisch.
Gott ist nicht muslimisch.
Gott ist nicht der Gott
dieser oder jener Religion.

Gott ist Gott.
Gott ist Gott und
der Vater aller Menschen.
Gott will die Rettung aller Menschen.
Gott sorgt sich um alle Menschen.
Gott liebt alle Menschen.

Gott ist Gott für alle.
Er ist unser guter Vater.
Wir alle sind seine Geschöpfe.
Kinder dieser Erde.

Bischof Heinrich Mussinghoff, Aachen 2003


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