Abrahams Post 24

EDITORIAL: Zwischenzeiten

Dreimal kam es in der Geschichte des pharaonischen Ägypten dazu, dass Chaos sich im Land breitmachte, eingespielte Strukturen und Herrschaftsverhältnisse wegbrachen. Die Ägyptologie spricht dann von einer sog. Zwischenzeit. Seit den letzten drei Jahren erlebt das sonst so beständige, duldsam ausgeglichene Land am Nil wieder so eine Phase, deren Ende noch nicht absehbar ist. Ob die uralten Denkmuster, dass ein neuer starker Pharao, wie viele ihn sich scheinbar herbei­sehnen, der das Chaos beim Schopf packen und die Ordnung wieder­herstellen wird, heute noch glücken können – ob sie überhaupt jemals glücklich waren – steht in den Sternen. So bedrohlich die Gefahr islamistischer Macht­ausübung auf Kosten von Minderheiten ebenso wie auf Kosten der ganz normalen Muslime, die sich liberale, moderne Verhältnisse wünschen, auch begriffen werden muss – wenn aber die Hälfte der eigenen Bevölkerung zu Feinden der neuen Ordnung erklärt wird, zu Unterstützern von Terroristen, dann werden auch die wieder Zulauf finden, die das Heil auf Abwegen suchen.
Da haben wir Freunde Abrahams vergleichsweise geringe Sorgen, wenn wir uns in der Ära nach Görg neu formieren. Wenn es zur Auflösung von gewohnten Banden kommt, entsteht Schaden, egal ob gewollt oder (was meist eher der Fall sein wird) ungewollt. Es wird aber auch der Weg frei, der wieder auf festen Boden führt. Für die Freunde Abrahams sehe ich den da, wo wir unsere Wurzeln haben: in der religionsgeschichtlichen Erdung dessen, was wir angesichts der Herausforderungen des aktuellen Zusammenlebens einbringen wollen und können. Das Brückenbauen ist unser Potential.

Stefan J. Wimmer


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Berichte zu Veranstaltungen

Judentum, Christentum und Islam – Komponenten europäischer Identität

Symposium zum Gedenken an Prof. Dr. Dr. Manfred Görg, 6.-8.12.2013

von Stefan Jakob Wimmer

Im christlichen Bildungshaus DIE HEGGE, zwischen Paderborn und Göttingen in Ost-Westfalen gelegen, war Manfred Görg über viele Jahre ein hochgeschätzter Gast. Er selbst hat sich dort immer besonders wohl gefühlt. Deshalb war es stimmig, ein Symposium zum Gedenken an Manfred Görg dort abzuhalten. Die langjährigen Bande zwischen der Hegge und den Freunden Abrahams haben bewirkt, dass auch in der dortigen Region einige Mitglieder gewonnen wurden, die – zumal sie sonst kaum an unserem Angebot teilhaben können – nun umso dankbarer waren, dass diese hochkarätige Veranstaltung dort stattfinden konnte. Das Thema zog aber auch neue Interessent/innen an, sodass die Tagung voll ausgebucht war.

Die Frauen von der Hegge, insbesondere Frau Dr. Anna Ulrich (Doktorandin von Prof. Görg) und Frau Dorothee Mann, die Oberin der Hegge-Gemeinschaft, sorgten engagiert und bewundernswert einfühlsam für einen Rahmen, in dem sich jede/r gut angekommen, angenommen und wohl fühlen konnte; hinzu kam die kompetente Tagungsleitung durch Damian Lazarek. Das Zusammentreffen von Rabbinerin Goodman-Thau, Imam Idriz und Prof. Kuschel, deren kompetente Vorträge, die persönlichen Erinnerungen von Dr. Georg Gafus und vielleicht auch ein bisschen von mir, haben an diesem abrahamisch gehegten Ort im Zusammen­spiel möglich gemacht, dass wir etwas vom Vermächtnis von Manfred Görg miteinander reflektieren konnten. Die Vorträge werden in der Gedenkschrift für Manfred Görg (siehe „Buchtipps“, Seite 29) publiziert.

Ein Höhepunkt besonderer Art war ein musikalischer Abend mit unvergesslich schöner, alter Musik durch das Ensemble „EST!“. Das letzte Thema, das Herrn Görg wissenschaftlich beschäftigt hat, waren mögliche Bezogenheiten des Namens Israel auf das Motiv vom Gesang und Tanz der Mirjam, der Schwester des Mose, nach dem Durchzug durch das Schilfmeer. Als nun an diesem Abend spontan Rabbinerin Goodman-Thau zu den Klängen der Lieder anfing zu tanzen und andere sich anschlossen, wird er das mit einem seligen Lächeln begleitet haben.


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Armenien und Karabach

Reisebericht von Stefan Jakob Wimmer

Ein entlegenes Land, zwischen Anatolien, Kaukasus und Iran, war Reiseziel der Freunde Abrahams im Oktober 2013. Ein schönes und kulturell sehr reiches Land, wiewohl auch widersprüchlich und schwierig. Schon in den Museen der architektonisch noch weitgehend aus der Sowjetzeit geprägten Hauptstadt Eriwan staunten wir über das Bild, das das kleine Volk von sich selbst hat, als nicht nur ältestes christliches Land des Geschichte, sondern, so bemüht man sich zu vermitteln, eigentliche Begründer und Katalysatoren fast aller zivilisatorischen Leistungen. Nein, die Schrift wurde nicht hier erfunden, aber doch ein eigenes Alphabet, und aus Treue zur eigenen, immer wieder angefeindeten und bedrohten Identität wurde dem sprachlichen Vermächtnis ein Tempel errichtet. Prominent über der Stadt liegt die Bibliothek „Matenadaran“ – als wäre sie die eigentliche Kathedrale des Volkes.

Und wenn die Wolken sich ein bisschen verzogen, was wenigstens gegen Ende der Reise der Fall war, erhebt sich als spektakuläre Kulisse über der Stadt der legendäre Ararat – jener Berg, den die Armenier weltweit als ihr Herz und ihre Seele empfinden. Seinem Gipfel zu Ehren tragen die Priester spitze Kapuzen, er ziert das Etikett der besten Cognacmarke und natürlich auch das Staatswappen – obwohl der Berg heute jenseits der Grenze zur Türkei liegt. Türkische Proteste deswegen, dass doch niemand als Nationalsymbol führen dürfe, was einem territorial nicht gehöre, konterte ein armenischer Völkerbundsgesandter mit dem Verweis auf Mond und Stern in der türkischen Flagge…

Mit dem Sevan-See liegt immerhin einer jener drei großen Seen, die im Altertum das Kerngebiet der Urartäer markierten, nach denen der Ararat seinen biblischen Namen hat, in der kleinen Republik Armenien (die beiden anderen in der Türkei, der Van-See, und im Iran, der Urmiah-See). Hier fanden wir ein wahres Meer von Khatchkaren vor, jenen meisterhaft ornamentierten Kreuzsteinen, die so allgegen­wärtig in Armenien sind wie Granatapfel und Weintraube, in natura und als christliche Religionssymbole an den Friesen der Kirchen. Die Abendsonne beleuch­tete wie magisch die teilweise verfallenen Klosterkirchen am Seeufer, die wir hier wie überall im Land besuchten.

In den Bergen von Karabach waren es tief hängende, dichte Nieselwolken, die das Hauptkloster Gandzasar, nur über kurvige Straßen umständlich erreichbar, einhüll­ten. Kalt und düster kam es uns hier vor, unwirklich. Als ein liturgisches Buch auf dem Altarpodest geöffnet wurde, sprang ein kleines Eidechslein daraus hervor.

Trüb musste uns auch die Stimmung in den vom Konflikt gezeichneten Orten Shushi (hier werden immerhin Moscheen renoviert, obwohl keine Muslime mehr hier leben) und Stepanakert, der Hauptstadt (eine Kleinstadt mit gigantischen, neuen Regierungsprachtbauten in der Ortsmitte) erscheinen. Der grauenvolle Krieg, der 1988-1994 zwischen muslimischen Aserbaidschanern und christlichen Armeniern hier tobte, wurde nur eingefroren dadurch, dass sich das Gebiet zur selbstständigen Republik Berg Karabach erklärte und eigene Briefmarken heraus­gibt. Kein Land der Welt erkennt seine Unabhängigkeit an, de facto gehört es zu Armenien, de jure völkerrechtlich weiterhin zu Aserbaidschan.

Das Genozid-Museum und –gedenkstätte Tsitsernakaberd am Stadtrand von Eriwan führt es noch einmal eindrücklich vor Augen: wie schwer es sein muss, über Opfer- und Täter-Denken hinaus zu dringen, wenn dort, wo durchaus wechsel­seitige Gräuel begangen wurden, das Aussprechen der Fakten und ihrer Ausmaße noch 100 Jahre später, von Menschen also, die doch keine Schuld trifft, mit Straf­verfolgung belegt wird, anstatt mit Verantwortung aufgearbeitet.

Da war es für sich ein Erlebnis von besonderer Qualität – und ich finde: eine Auszeichnung für unsere Reise! – dass wir auch hier mit der Reiseagentur der Familie Ceven unterwegs waren, jener kurdischen Familie, die uns bereits zweimal durch ihre Heimat in der Osttürkei geleitet hat. Die Brüder Kemal und Mehmet Ceven und die armenische Reiseleiterin Aelita waren sich nicht immer einig, wem der Ararat gehört, doch gut befreundet, und sie lebten vor, was Menschen könnten, wenn die Politik sie ließe.

Die Reiselinie, die wir mit Antiochia am Mittelmeer über aramäische und kurdische Siedlungsgebiete in der Osttürkei, Van-See und Berg Ararat begonnen hatten und jetzt mit Armenien und Karabach fortgesetzt haben, wollen wir – so Gott will – 2015 wieder aufgreifen und nach Aserbaidschan und West-Iran fahren, wieder mit der Agentur Ceven. Interessensbekundungen werden jetzt bereits gesammelt.


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Die Einheit der Gemeinde und das Gezänk der Theologen

Zum Vortrag von PD Dr. Heinzgerd Brakmann am 11.2.2014 – von Brigitte Hutt

Abrahams Denkwerkstatt hatte sich gewünscht, die frühen Konzile und Kirchen­spaltungen aufzuarbeiten. Und so kam eine interessierte und lebhaft mitredende und –fragende Runde zusammen, um den Liturgiewissenschaftler und Frühkirchen­experten Dr. Heinzgerd Brakmann zu erleben.

Deutlich war zu spüren die Sehnsucht nach der Einheit der Christen. Dr. Brakmann erläuterte schlüssig, dass es aus dem Blickwinkel der Gemeinde, des Volkes Gottes, diese Einheit gibt: die allem vorangehende Wahrheit, das alle einende Bekenntnis zu dem Einen Gott, dem Schöpfer der Welt. Alle Spaltungen, so zeigte er auf, entstanden aus der Suche nach schlüssigen Beschreibungen, Erklärungen, Begrifflichkeiten, und da waren es eben vor allem die Theologen, die sich da hervortaten, wenn auch das Volk nie ganz unbeteiligt daran war. Politische Ziele und kulturelle Unterschiede führten zu den heute noch vorhandenen scharfen Grenzen zwischen den verschiedenen christlichen Kirchen, Grenzen, die spätestens seit dem 2. Vatikanischen Konzil eigentlich als beseitigt gelten könnten. Aber alle diese Kirchen bilden miteinander das Volk Gottes, bilden die Christenheit. Warum dann diese „Einheit in Vielfalt“ nicht leben?

Mit diesem Gedanken sind die Besucher gegangen, und mit genau demselben Gedanken können wir Freunde Abrahams die Diskussionen auch mit anderen Religionen eigentlich nur bestärken und befruchten.

 

Treten Sie ein! Treten Sie aus!

Gedanken zur Ausstellung im Jüdischen Museum – von Brigitte Hutt

„Warum Menschen Ihre Religion wechseln“ – so war die in der Überschrift ge­nann­te Sonderausstellung untertitelt, und das war auch das Konzept: 40 Einzel­biografien wurden vorgestellt, aus verschiedenen Zeiten bis zurück ins Mittelalter, aus- und eintretend von und zu allen denkbaren Religionen, Weltanschauungen oder auch christlichen Konfessionen. Die Motive – soweit aus Dokumenten oder Gesprächen erkennbar – reichen von Anpassung an das soziale Umfeld, Karriere- oder Geldproblemen über Zwangskonversion im Mittelalter oder in der NS-Zeit, Protest, Konversion aus Liebe zu einem Lebenspartner bis hin zu Suche nach einer erfüllende(re)n Religion. Ausstellungsstücke waren teilweise Dokumente, teils Sym­bol­stücke des Konversionsprozesses, teils Symbole, die nach geglückter Konversion nun „entbehrlich“ waren. Ein Drittel der Ausstellung widmete sich den Vorgeschich­ten der Konversion, ein Drittel dem Prozess an sich, ein Drittel den Nachgeschichten mit besonderem Augenmerk auf die Reaktionen der Umwelt und die Erfüllung der Wünsche des Konvertiten.

Letzteres war selten genug der Fall. Heinrich Heine fühlte sich nach der Taufe bei beiden Religionen gleichermaßen verhasst, eine zur Muslima konvertierte junge Christin hat es ihren Eltern bis heute nicht gesagt, Karriere oder gelingende Eingliederung glückte in den meisten Fällen nur bedingt.

Zu Beginn der Ausstellung stand der Satz „Religionsfreiheit ist Menschenrecht“ – mit Sicherheit eine Aussage, die gerade den Freunden Abrahams aus dem Herzen spricht. Im Raum der „Nachgeschichten“ stand der für alle Biografien bestimmen­de und zum Nachdenken anregende Satz: „Alle nehmen ihr altes Leben mit“.

Wer konvertiert und warum? Anpassung an soziales Umfeld, Liebe und Ehe – das sind harte Fakten, die ohnehin lebensbestimmend sind, gegen die es schmerzhaft sein kann, eine abweichende Religion zu bewahren. Ist dann Religion nicht Lebensschwerpunkt des einzelnen, so liegt Konversion nahe. Und die „Sucher“? Ich möchte eine (kühne?) Behauptung aufstellen, die sicherlich nicht für alle Sucher gilt, aber für einen beträchtlichen Teil, nicht nur der hier dargestellten: Hätten sie die Suche in der eigenen Religion begonnen, sich mit deren Inhalten und Werten so intensiv beschäftigt wie mit denen anderer, dann wären sie mit weniger Mühe und zugleich mehr Tragfähigkeit zum Ziel gelangt, und vielleicht (!) noch zusätzlich zu dem Ergebnis, dass jede aufrichtig gelebte Religion gleichwertig zu anderen ist.

 

Hermann Cohen – zwischen Tradition und Moderne

Zum  Vortrag von Prof. E. Goodman-Thau am 18.2.2014 – von Brigitte Hutt

Unsere Kuratorin Eveline Goodman-Thau hat sich Hermann Cohen als Thema ausgesucht, und nach ihm hat sie auch die Akademie für Religion, Wissenschaft und Kunst benannt, die sie 1998 gründete.  Der jüdische Philosoph ist am Ende des Ersten Weltkriegs gestorben, zu einer Zeit, als der Antisemitismus schon deut­lich zu spüren war. Cohen vertrat die feste Meinung, dass die Vielzahl der gelebten Religionen wichtig sei, dass eine jede einen möglichen Zugang zur Verbindung zwischen Gott und dem Menschen anbiete. Europa aber habe seine jüdische Tradition und damit eine wesentliche Wurzel seines kulturellen Erbes verloren.

Ein paar der zentralen Gedanken: Gott und Mensch stehen in Korrelation, in wechsel­seitiger Beziehung. Offenba­rung heißt, dass Gott mit dem Menschen in Verbindung tritt. Vernunft heißt, das Gute tun. Beides sind Bestandteile aller abrahamischen Religionen – und nicht nur dieser: zumindest die Forderung nach Vernunft und Sittlichkeit eint die religiösen mit den a-religiösen Menschen, die ebenso an einer guten Zukunft bauen wollen. Frau Goodman-Thau ist überzeugt davon, dass Europa seine religiösen Quellen neu finden und in die Moderne über­setzen muss, um Universalwerte zurückzugewinnen oder neu zu definieren, um Zukunft zu haben, um zusammenzufinden.

Eine Fülle von Gedankensträngen, Zusammenhängen, Zitaten war es, die sie ihrem Auditorium präsentierte, das leider, trotz Kooperationen und intensiver Bekanntmachung, überschaubar blieb. Lag es an dem nicht so breitenwirksamen Thema? Sollten wir, bei aller Fülle der Angebote in einer Stadt wie München, nicht mitunter neugieriger sein auf neue Themen, neue Namen?  Das wäre wünschens­wert.


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Friedensgebet der ReligionenVon der Toleranz zum Respekt

von Stefan Jakob Wimmer

Das „Friedensgebet der Religionen“ findet regelmäßig im Rahmen der Veranstal­tungen der „Münchner Friedenskonferenz“ statt, die einen Gegenakzent zur sog. „Münchner Sicherheitskonferenz“ setzen möchte, indem sie die Gewichtung auf Fragen nach gewaltloser Konfliktvermeidung lenkt. In diesem Jahr – am 2.2.2014 – fand die gemeinsame Gebetsfeier wieder im Pfarrsaal von St. Anna im Lehel statt, mit Beiträgen von Judith Bernstein als Jüdin, Getrud Scherer und Inge Ammon als Christinnen, Marwan Al-Moneyyer als Muslim, Isi Hackländer als Bahá’i, Susanne Purroy als Buddhistin. Eindrucksvolle Statements wurden vorge­tra­gen, über den eben verstorbenen Nelson Mandela als Leitbild für Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis (Judith Bernstein), über die Arbeit mit strafent­lassenen Menschen (Harald Hackländer) und von Hassan Trabelsi, einem Flücht­ling aus Tunesien, dessen persönlicher Bericht besonders unmittelbar berührte.

Der Beitrag der Freunde Abrahams versuchte, das Gehörte zu verbinden und schließlich zu jenem Text von Manfred Görg hinzuführen, der inzwischen zu einem festen Element des Friedensgebets geworden ist:

„Respektspersonen“

Wir haben heute von Menschen gehört, und haben sogar jemanden persönlich kennengelernt, die auf sehr unterschiedliche Weise furchtbar Schweres in ihrem Leben durchgestanden haben. Wie unterschiedlich – gegensätzlich – stellen wir uns Menschen wie sie vor: Nelson Mandela, der es vom lange Jahre strafgefan­genen Freiheitskämpfer zum Staatspräsidenten und Gestalter einer gemeinsamen Nation gebracht hat. Könnte er auf wunderbare Weise heute hier noch unter uns zugegen sein – würden wir ihn, den großen Nelson Mandela, unter uns „tolerie­ren“? Um Gottes Willen, nein – wir würden ihn bejubeln, bewundern, in höchstem Maße respektieren. Ein Strafgefangener, der aus eigener Schuld, aus welcher Schuld auch immer, abgedriftet, abgestürzt ist, und nun mühsam darum kämpft, auf die Beine zu kommen – ein Flüchtling, der aus Verhältnissen, die wir uns gar nicht vorstellen können, Wege auf sich genommen hat, die wir uns ebenso wenig vorstellen können – und viele andere Existenzen am sogenannten Rand der Gesell­schaft (ihre Aufzählung nähme kein Ende): wie weit sind wir bereit, so der gesellschaftliche und politische Diskurs, wie weit können wir, wollen wir, müssen wir sie tolerieren, d. h. „aushalten“?

Dabei hält der Lebensweg vieler dieser Menschen Strecken und Etappen, Durchge­stan­denes und Erreichtes bereit – vor denen wir uns eingestehen müssten: hätten wir das durchgestanden? Hätten wir ausgehalten, weitergemacht, hätten wir ge­schafft, was sie erreicht haben, wenn wir da hätten anfangen müssen, wo das Leben sie losgeschickt hat? Sollten uns nicht gerade die sogenannten Rand­existen­zen genau das abnötigen, was wir „Respekt“ nennen?

Ein Flüchtling, der sein Schicksal irgendwie bewältigt: Respekt!
Ein Obdachloser, der sich durchschlägt: Respekt!
Ein Arbeitsloser, der um sich und seine Familie kämpft: Respekt!
Eine Frau, die in Entwürdigung gezwungen wird und trotzdem Kraft aufbringt, aufzuschauen: Respekt!
Oder auch: Jemand der seinen/ihren Glauben in fremder Umgebung, trotz Vorbehalten und Vorhaltungen lebt und bekennt: Respekt!

Ich habe mich gefragt, wie das Hebräische, die Sprache der Bibel, den Begriff „Respekt“ ausdrücken würde. Da gibt es kavod, was eigentlich „Ehre“ bedeutet; und es gibt hokarah, An-er-kennung. hokarah ist (wie Anerkennung im Deutschen) abgeleitet von der Wortbedeutung „kennen, erkennen“. Wir an-erkennen, wenn wir er-kennen, was ein Mensch bedeutet. Wenn wir diesen Menschen kennen-lernen – dann wird der Weg frei, ihn zu achten, der Weg, der von der Toleranz zum Respekt führt.

Wir haben heute Menschen kennen gelernt, und weil wir sie kennen, können wir uns eingestehen, dass nicht sie vor uns, sondern wir vor ihnen den Hut ziehen müssten.

„Behandelt alle Menschen mit Respekt, liebt die Brüder und Schwestern, fürchtet Gott (und ehrt den Kaiser)!“, heißt es im 1. Petrusbrief (2,17) im NT.

Der Respekt vor allen Menschen, die Achtung vor dem, was anderen Halt gibt, die Wertschätzung der Verschiedenheit des Glaubens und der Religionen – ist der Gehalt auch jenes „interreligiösen Bekenntnisses“, das Manfred Görg – der der Gründer und die Seele unserer Gesellschaft „Freunde Abrahams“ war, für die ich hier spreche, weil Manfred Görg 2012 starb – als sein Vermächtnis hinterlassen hat. Es ist schon eine wertvolle Tradition geworden, dass wir es hier zum Friedens­gebet der Religionen miteinander sprechen – jede/r so wie und so weit wie sie/er es möchte:

Ich halte mich fest an Gott,
dem Einen und Einzigen,
dem Allmächtigen und Allerbarmer,
dem verborgenen mit den vielen Namen.
Der unsere Wirklichkeit geschaffen
und uns ins Leben gerufen hat.
Der Menschen als seine Zeugen erwählt
wie Noah, Abraham und Mose,
und durch Propheten gesprochen hat,
wie durch Jesus, den Sohn der Mirjam,
und Mohammed als seine Gesandten.
Der alle seine Erwählten erhöht
und die wahrhaft Glaubenden annimmt.
Der uns allen seinen Geist schenkt,
damit wir weiter auf ihn hoffen,
bis er kommt und die Welt richtet
und uns alle und alles mit sich vereint.
Amen


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Aus München und Umgebung

Ägypten in München: Das Münchner Totenbuch

von Stefan Jakob Wimmer

Seit im Juni 2013 der Neubau des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst im Münchner Museumsviertel eröffnet wurde, lässt der Ansturm nicht nach. Im November konnte bereits die 100.000ste Besucherin begrüßt werden. Die herausragende Lage zwischen den Pinakotheken und den Antikenmuseen am Königsplatz wird das Ihre zur Gefragtheit der auch architektonisch aufregend in Szene gesetzten Meisterwerke vom Nil beitragen.

Freunde Abrahams haben ausgewählte Exponate unter dem Aspekt religions­geschicht­licher Bezüge der abrahamischen Religionen zum Alten Ägypten besucht  (25.9.2013) – ein Hauptanliegen unserer Gesellschaft, das wir mit dem Vermächt­nis von Manfred Görg auch künftig weiterentwickeln und vermitteln wollen.

Ein Highlight beim Besuch des neuen Museums ist die innovativ präsentierte Totenbuchrolle des Pa-ju-hor. Erworben wurde sie zusammen mit weiteren Objekten 1824 durch den damaligen Kronprinzen Ludwig. Im „Verzeichniss der Orientalischen Handschriften der K. Hof- und Staatsbibliothek in München“ von 1875 heißt es unter der Rubrik „Hieroglyphica“:

1. Aegyptischer Papyrus in hieratischer Schriftart, Geschenk weil. Sr. Majestät des Königs Ludwig I. von Bayern. Diese werthvolle Urkunde, ein Exemplar des sogenannten „Todtenbuchs“ wurde 1863 von Prof. Dr. Lauth in der Privat­bibliothek Königs Ludwig I. entdeckt, aufgerollt und mit Hülfe eines Buchbinders auf Leinwand aufgezogen. (Herr Prof. Dr. v. Pettenkofer soll das Ganze zum Zwecke der Conservierung mit einer chemischen Lösung imprägniert haben.) Der Papyrus misst 36 bayrische Fuss (= 10 ½ Meter) in der Längenausdehnung; seine Höhe beträgt 1 ¼ bayrische Fuss (oder 0,365 Meter). …

Die stattliche Rolle misst nach aktuellen Angaben 8,70 x 0,45 Meter, Anfang und Ende sind nicht erhalten. Als 1972 die Staatliche Sammlung Ägyptischer Kunst gegründet und (provisorisch – dann aber doch für vierzig Jahre!) in Räumlichkeiten der Residenz am Hofgarten einzog, überließ die Staatsbibliothek das bedeutende Objekt dem Museum als Dauerleihgabe.

Beim ägyptischen Totenbuch handelt es sich eigentlich um eine lose Sammlung von kurzen Textabschnitten, die in immer wieder unterschiedlicher Auswahl und Länge auf Papyrusrollen oder manchmal auch auf Mumienbinden gemalt den Verstorbenen mit ins Grab gegeben wurden, um sie mit dem nötigen Wissen für die Reise ins Jenseits auszustatten. Ihr jeweiliger Umfang und durchaus auch die Qualität der Abschrift waren von den Wünschen und vor allem auch der Kaufkraft des Auftraggebers abhängig. Auch die Aufeinanderfolge der einzelnen Sprüche war nicht streng fixiert. Erst die Ägyptologie hat rund 200 einzelne „Kapitel“ benannt und nummeriert.

Die Erschließung der Texte und ihrer begleitenden Vignetten des Münchner Totenbuchpapyrus wurde, finanziert durch die Bayerische Sparkassenstiftung, für die Besucherinnen und Besucher digital über einen Monitor aufbereitet. Der Monitor lässt sich auf einem beweglichen Schlitten an der hinter Glas montierten Papyrusrolle entlang schieben. Durch Antippen öffnet sich auf dem Bildschirm die Übersetzung mit Analysen und Erläuterungen zu den jeweiligen Passagen. So erschließt sich die Symbolik der Bilder, die das Licht der Sonne feiern, damit sie auch für die Jenseitigen aufgehen möge, die Gefahren durch Dämonen und Geister bannen, die die erhofften paradiesischen Gefilde schildern und vor allem das Jenseitsgericht darstellen, von dessen Ausgang jedes Fortleben abhängt. Osiris, der Heilsbringer, der selbst getötet wurde und wieder auferstand als „Erster der Westlichen“ (d. h. der Verstorbenen), richtet anhand ihrer Lebensbilanz über die Seelen der Menschen und entscheidet über deren Sein oder Nichtsein.

Das Münchner Totenbuch stammt aus der Endphase der pharaonischen Kultur, aus dem 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr., als die griechische Ptolemäerdynastie im Land herrschte. Es gehört einem Priester des Amun von Luxor namens Pa-ju-hor (der Name bedeutet: „Der Hund des Horus“), dessen Grab sich irgendwo in der weiten Nekropole am westlichen Bergrand von Theben befunden haben muss. Dass sein Totenbuch heute in zeitgenössischem Ambiente und mit den Mitteln der modernen Magie digital aufbereitet präsentiert wird, dürfte alle Erwartungen, die Pa-ju-hor an sein Fortleben nach dem Tod hatte, übertrumpfen – zumal es die Erinnerung an den Verstobenen ist, die Vergegenwärtigung dessen, dass es ihn einmal auf Erden gab, die im eigentlichen Zentrum des ägyptischen Ewigkeits­glaubens steht.

Nicht fehlen sollte bei jedem Besuch des Museums schließlich auch ein Blick in den attraktiven Museums-Laden. Er wurde vor kurzem als Filiale der „Buch­hand­lung Avicenna“ neu konzipiert – die den Freundinnen und Freunden Abrahams seit langen Jahren gut bekannt ist. Das kleine Unternehmen mit viel mehr philo­sophischer als wirtschaftlicher Intention benötigt und verdient Unterstützung, um auf dem zunehmend von Groß- und Onlineunternehmen beherrschten Markt bestehen zu können. Weil das altägyptische Pendent und sozusagen die Präinkar­nation des persischen Arztes und Wissenschaftlers Avicenna der Weise Imhotep war, der den Pyramidenbau erfand und noch Jahrtausende später von den Griechen mit dem Heilsgott Asklepios vergesellschaftet wurde, heißt die Filiale der Buchhandlung im Ägyptischen Museum: „Buchhandlung Imhotep“ (siehe auch den Werbehinweis auf der Rückseite dieses Heftes).

 

Danke, Prof. Stephan Leimgruber!

von Stefan Jakob Wimmer

Am 30.1.2014 hielt Prof. Dr. Stephan Leimgruber, Ordinarius am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, seine Abschiedsvorle­sung. Unter dem Vorlesungstitel „Was können Christen von den Weltreligionen lernen?“ fasste er auf seine unnachahmliche Weise, die jüngere Studierende eben­so schätzen wie fortgeschrittenes Publikum, in einer Art Rundumschlag zusammen, worauf der Dialog zwischen den Religionen gründet und warum er nicht nur möglich und geboten, sondern unverzichtbar ist.

Prof. Leimgruber schloss sich den Freunden Abrahams bald nach deren Gründung an – damals als Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät. Als nach der Emeritierung von Prof. Görg meine Assistentenstelle noch für einige Zeit weiter bestand, durfte ich mit ihm zusammen „Bibel und Koran im Vergleich“ unterrichten – eine Veranstaltung mit Folgen: Es erwuchs daraus ein gemeinsames Buch („Von Adam bis Muhammad. Bibel und Koran im Vergleich“, 2005 und 2. Aufl. 2006), dem ein weiteres folgte, mit unserem gemeinsamen Freund Imam Benjamin Idriz als Drittem im Bunde („Islam mit europäischem Gesicht“, 2010). Die inzwischen sehr stark nachgefragte Lehrveranstaltung führe ich im Rahmen eines Lehrauftrags weiterhin fort. Während der Arbeit an meiner Habilitation unterstützte er mich – wiewohl ihm die altorientalisch-epigraphische Thematik eher fremd war – und verschaffte mir, so lang die Raumsituation es erlaubte, einen wunderbaren Arbeits­platz, der zugleich Projektzimmer des „Philisterprojekts“ war, das noch von Prof. Görg geleitet wurde.

Als 2007 die Plattform „Nymphenburger Gespräche“ gegründet wurde (siehe S. 10), stieg Stephan Leimgruber von Anfang an mit ein und bildete sozusagen eine universitäre Stütze unserer gemeinsamen Veranstaltungen.

Dementsprechend eindrucksvoll waren die Dankesworte, die im Anschluss an die Abschiedsvorlesung auch über die akademische Seite hinaus von MitarbeiterInnen und Weggefährten beigetragen wurden. Prof. Leimgruber kehrt nun, nach 16 Jahren in München und zuvor 6 Jahren in Paderborn, zurück in seine Heimat, die Schweiz, und wird in Luzern die geistliche Begleitung der Theologiestudierenden für das Bistum Basel übernehmen. Dort hoffen wir auf ein Wiedersehen bei der Herbstreise auf abrahamischen Spuren (siehe Seite 8).

Danke, Stephan, im Namen der Freunde Abrahams und auch ganz persönlich, für alles! Möge Dich der Herrgott noch durch viele glückliche Jahre führen und unsere Freundschaft erhalten.

 

Aus ZIE-M wird das „Münchner Forum für Islam“

Über den Fortgang des Projekts „Zentrum für Islam in Europa – München“ von Imam Benjamin Idriz (Mitglied im Kuratorium der Freunde Abrahams) haben wir regelmäßig berichtet. Im Herbst gab sich die Initiative einen neuen Namen, der inzwischen auch vereinsrechtlich wirksam geworden ist. Wir geben hier die Presseerklärung des Vereins vom 18.11.2013 wieder:

Die Ordentliche Mitgliederversammlung des „Zentrums für Islam in Europa – München e. V.“ (ZIE-M) hat am 17.11.2013 eine Änderung des Vereinsnamens beschlossen. Er wird künftig „Münchner Forum für Islam e.V.” (MFI) heißen. Über den Schritt war schon im Vorfeld längere Zeit nachgedacht worden. Die Namens­änderung erfolgt, weil sowohl intern wie auch extern von Unterstützern, die das Projekt begrüßen und gern in München verwirklicht sehen möchten, auf die Miss­verständlichkeit der Formulierung im bisherigen Namen hingewiesen wurde.

Islamfeindliche Extremisten haben versucht, die Öffentlichkeit mit der gezielten Falschaussage zu täuschen, in München werde ein „europäisches Islamzentrum“ im Sinne einer Europa-weiten Zentrale geplant. Auf dieser Grundlage sammeln sie Unterschriften gegen das Projekt und für ihr Ziel, ihrer rechtspopulistischen Ideo­logie bei Wahlen zu mehr Erfolg zu verhelfen. Dabei verschweigen sie den Unter­zeich­ner/innen, dass unserer Initiative ein Islamverständnis zugrunde liegt, das die gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen im Europa des 21. Jahr­hunderts bejaht und von Muslimen selbst einfordert. Ein Islam mit europäischem Gesicht ist keine Zukunftsvision, sondern gelebte Wirklichkeit für ungezählte Musliminnen und Muslime, was freilich hinter dem schrecklichen Treiben von Extre­misten und Fundamentalisten auf allen Seiten bisher viel zu wenig wahrge­nommen wird. Dass diese Werte von den Initiatoren seit Jahrzehnten in tag­täg­licher Arbeit der eigenen Jugend vermittelt, in der Moschee gepredigt und von Frauen und Männern im Miteinander mit den Behörden und Institutionen, den anderen Religions­gemein­schaften und allen Bürgerinnen und Bürgern guten Willens umgesetzt werden, ist nachgewiesen und anerkannt.

Von Anfang an hat sich das ZIE-M – jetzt das Münchner Forum für Islam – als Angebot an die Stadt München, die „Weltstadt mit Herz“, verstanden, als Ort der Begegnung und des Miteinanders für die ganze Stadtgesellschaft, von dem Muslime wie Nicht-Muslime gleichermaßen profitieren werden.

Die Mitgliederversammlung fand im Evangelischen Jugendhaus Ottobrunn statt.

Bei den turnusgemäßen Neuwahlen zum Vorstand wurden gewählt: Imam Benjamin Idriz als Vorsitzender, Gönül Yerli und Recep Dereli als stellvertretende Vorsitzende, Husein Durmic als Schatzmeister, Ersan Göztas als Schriftführer sowie Dr. Stefan Wimmer und Saiyed Shah als weitere Vorstandsmitglieder.

Edel und diskret

von Brigitte Hutt

Mögen Sie Rätsel? Was hat drei Buchstaben, beginnt mit NS und betrifft uns alle? Falsch – es geht nicht um die Bedrohung unserer Daten, um jene Empörung über die US-Behörde, die die öffentliche Meinung so dankbar aufgegriffen hat. Es geht um den sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“, um die noch viel empörenderen, ganz realen Morde des Trios Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos mitten in unserer Gesell­schaft. Und wenn Sie jetzt sagen: „Das betrifft doch nicht uns alle, da ging es doch um Ausländer“ – dann öffnen Sie exakt die Pforte, durch die auch das „NSU“-Trio gehen konnte. Und deklarieren den Tod einer deutschen Polizistin als Kollateral­schaden.

Zehn Morde, deren Aufklärung beschämend verlief. Die Städte, in denen die Opfer gelebt haben und getötet wurden, haben sich darauf geeinigt, Tafeln aufzu­stellen mit den Namen aller Opfer und einem allerorts gleichlautenden mahnen­den Text. In München wurden am 8. November 2013 je eine Tafel an dem jeweili­gen Tatort enthüllt. Dunkler Stein mit hellen Lettern, über Kopfhöhe an Hauswän­den in der Bad Schachener sowie der Trappentreustraße, edel und diskret. Wenn man nichts von den Tafeln weiß, übersieht man sie leicht.

Die Enthüllungen waren würdige Akte. Bürgermeisterin Christine Strobl fand die richtigen Worte, konnte ihre eigene Betroffenheit kaum aus ihrer Stimme bannen. Die Angehörigen von Habil Kıliç und Theodoros Boulgarides verteilten weiße Rosen bzw. Lichter, die die Teilnehmenden vor der jeweiligen Tafel ablegen konnten. In der Trappentreustraße, im Gedenken an das, wie betont wurde, „einzige christliche Opfer“ wurden katholisch, evangelisch und griechisch-orthodox Gebete gesprochen. Erzpriester Malamoussis begann, einladend an alle gerichtet, das Vaterunser. Ein vorsichtiger Blick in die Runde zeigte mehrheitlich geschlossene Münder in den Gesichtern des Christlichen Abendlandes.

Wer war dieses Publikum? Die Angehörigen der Opfer, viele Journalisten, Polizei­beamte, Kommunalpolitiker, letztere vier Monate vor der Wahl. Betroffenheit in den Mienen, aber am Rande der Veranstaltung fleißig mit Lobbyarbeit beschäftigt. Ich stand ganz hinten, so entging mir das leider nicht.

Eine unendlich traurige Veranstaltung, vom Anlass bis hin zum Verhalten der Geladenen. Ein ausdrücklicher Dank geht jedoch an Frau Strobl, die den Charakter des Gedenkaktes gerettet hat, deren würdige, offene Worte ein Licht­blick waren. Sie sprach von der Trauer, den Fehlschlüssen der Justiz, äußerte den Wunsch, dass München offen und bunt sein soll, forderte ein „aktives und präventives Vorgehen gegen jede offene oder versteckte Form des Rassismus“.

Mögen diesen Worten Taten folgen, nicht nur Wahlkampfaktionen.


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Abschied vom Projekt „Kinder Abrahams“

von Delia Dornier-SchlörbMein 2007 hoffnungsvoll gegründetes „non-profit-start-up“-Projekt unter dem Namen KINDER ABRAHAMS ist leider zu Ende. Nach intensiven Gesprächen zur gründlichen Vorbereitung in Israel – zunächst mit christlichen Schulen – startete das interreligiöse Kinder-Friedens-Projekt und fand rasch Unterstützer: Schuldirek­toren im Heiligen Land und Sponsoren in Bayern. Die Zusammenführung der drei abrahamischen Religionen erwies sich umgehend als gefragte Idee und als glückliche Erfahrung für die beteiligten Kinder. Ein Friedensprojekt für Kinder gab es nicht in Israel. Dabei sind Zwölfjährige schon politisch und sozial geprägt, aber noch sehr offen und lernfähig. Hiermit ein wichtiges Ziel in Israel, das nach wie vor große Probleme hat, seine Religionen miteinander zu versöhnen. Jede Religion schottet sich am liebsten ab, wohnt separat und begegnet sich auch außerhalb der Schulen nirgendwo zum Austausch oder Miteinander.

Insgesamt fanden sechs Summercamps für 340 Schüler und Dutzende Lehrer statt. Während dieser Jahre besuchten zusätzlich etwa 700 Eltern, auch mit kleineren Geschwistern, diese Begegnungen. Mit einigen jüdischen, christlichen und musli­mischen Familien stehe ich noch immer in Kontakt.

Geboten wurden den Kindern Wanderungen und Busausflüge (Kirche, Synagoge, Moschee), Gespräche, Schwimmen und Klettern, Tanzen, Musizieren, Fußball­spielen, Malen, Basteln und Kochen. Volontäre und Patres der Benediktiner, in deren paradiesisch gelegenem Benediktiner-Kloster in Tabgha am See Gene­zareth alle Begegnungen stattfanden, musizierten gern mit. Die Kinder liebten den Kloster­hund, die Volieren und Kaninchengehege, eine Besonderheit in Israel.

Die israelischen Schulpartner waren schwierig. An der Zusammenarbeit interessiert  waren ausschließlich private, nicht aber staatliche Schulen, die sich aus politischen Gründen verweigerten. Ohne mein Zutun bewarb sich Anfang des Jahres 2013 eine mir unbekannte private (Grund/Mittel und Ober-)Schule aus Ost-Jeru­sa­lem(!). Beide Schulleiter zeigten Interesse an der Kooperation, um neue Schwer­punkte in der dringend notwendigen interreligiösen Arbeit zu setzen. Das erfolg­reiche Konzept hatte sich unter Lehrkräften bereits herumgesprochen.

Die Akzeptanz daheim in Bayern, im Land der Spendengeber, schrumpfte hin­gegen. Folglich ging die Spendenbereitschaft zurück, und im Jahr 2012 fand keine Veranstaltung statt. Das gesunkene Interesse in Deutschland am offenbar unlösbaren israelisch-palästinensischen Konflikt bedeutete einen schmerz­lichen Verlust der Spendenbereitschaft. Parallel ließ auch die Resonanz auf meine Berichte vom Projektfortschritt nach.

Das Unternehmen BMW war vom Konzept Kinder Abrahams 2011 dermaßen an­ge­tan, dass die PR-Abteilung mein Projekt für den INTERNATIONAL AWARD FOR INTERCULTURAL INNOVATION bei den Vereinten Nationen in New York nomi­nierte. Als ich dann zur konkreten Realisierung nächster Camps eine Spen­den­zu­sage erbat, bekam ich eine Absage.

Dies ist umso trauriger, als es sich keineswegs um exorbitante Beträge handelte. Mit allen über das Jahr angefallenen Kosten für Vor- und Nachbereitung inklusive Transport und Durchführung kostete das jährliche Summercamp für 40 Kinder und zehn Lehrer/Betreuer, über vier Tage und drei Nächte, z. B. vom 1. bis 3. Nov. 2011, insgesamt 3.373,98 Euro. Eingerechnet auch der Gastabend für eigens an­ge­reiste Eltern und Geschwister. Veranstaltungen früherer Jahre zeigten ver­gleich­bare Zahlen. Ausgaben für Materialien, Porto, Bürobedarf, Telefonkosten blie­ben dreistellig. Ich selbst arbeitete ehrenamtlich. Honorare wurden nicht bezahlt.

Anmerkung der Redaktion: Das Herz unserer Kuratorin Delia Dornier-Schlörb hängt trotz allem an diesem Projekt – eine Wiederbelebung ist nicht ausge­schlossen, wenn sich auch derzeit keine Möglichkeit abzeichnet.


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Die gute Nachricht

Nächster Halt: Jaffastraße

von Stefan Jakob Wimmer

Die Jaffastraße ist eine alte Hauptachse in der Neustadt von Jerusalem. Viele kennen sie noch als verkehrsumtost, ein stinkender, lauter Linienbus hinter dem anderen. Neuerdings ist es das sympathische Bimmeln einer Trambahn, das man hier hört – damit die Fußgänger zur Seite gehen, denn mit der Eröffnung der Straßenbahnlinie wurde gleichzeitig der Bus-, Auto- und Taxiverkehr aus der Jaffastraße verbannt und diese zur Fußgängerzone und abendlichen Flaniermeile. Das wäre schon für sich genommen eine gute Nachricht. Aber besser noch: Die neue Trambahn verkehrt von den nördlichsten Stadtteilen entlang der ehemaligen Trennungslinie zum arabischen Ostteil der Stadt, am Damaskustor biegt sie ab, durch die Jaffastraße und fährt weiter, ganz im Westen bis hinauf auf den Herzl-Berg. Sie verbindet damit nicht nur verkehrstechnisch arabische und jüdische Teile der Stadt. Auf den elektronischen Anzeigetafeln wechseln die Fahrtziele in Hebräisch, Arabisch und Englisch. Und die Passagiere auf beiden Seiten nehmen das neue, bequeme Verkehrsmittel an. Und noch besser: Wenn hier wie dort abends Jugendliche ein- und aussteigen, um in der Jaffastraße auf und ab zu spazieren, dann ist nicht immer schon auf Anhieb zu erkennen, ob es jüdische Israelis oder arabische Palästinenser sind.


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BUCHTIPPS

„Vom Leben umfangen“ –

Ägypten, das Alte Testament und das Gespräch der Religionen

Die wissenschaftliche Gedenkschrift für Manfred Görg, herausgegeben von Stefan Jakob Wimmer und Georg Gafus im Auftrag der Freunde Abrahams, sammelt Beiträge von rund 70 renommierten Wissenschaftlern aus vielen Ländern, die sich bereitgefunden haben, das breit gefächerte Wirken Manfred Görgs in den Berei­chen „Bibel und Theologie“, „Ägypten und der Alte Orient“ und „Die Abraha­mi­schen Religionen im Gespräch“ mit eigenen Arbeiten zu würdigen.

Das stattliche Werk erscheint voraussichtlich im Herbst 2014, als Band 80 der von Manfred Görg begründeten und jetzt von Stefan Jakob Wimmer und Wolfgang Zwickel herausgegebenen Buchreihe „Ägypten und das Alte Testament“ (Ugarit-Verlag, Münster). Wir planen eine feierliche Buchpräsentation, der Termin steht noch nicht fest.

 

Andreas Renz: Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog.
50 Jahre „Nostra Aetate“ – Vorgeschichte, Kommentar, Rezeption

Der Autor, Leiter des Fachbereichs Dialog der Religionen im Erzbischöflichen Ordinariat München und Mitglied der Freunde Abrahams, skizziert die Vor- und Entstehungsgeschichte der einschneidenden Konzilserklärung „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, bespricht ihre Rezeptions- und Wirkungsgeschichte und ruft dazu auf, die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen des interreligiösen Dialogs als Zeichen der Zeit wahr- und ernst zu nehmen.

Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014, 288 S., ISBN 978-3-17-023425-3, € 34,90

 

Blätter Abrahams

Ab Heft 13/2013 unserer Zeitschrift Blätter Abrahams – beiträge zum interreligiösen dialog drucken wir jeweils einen Beitrag von Manfred Görg nach, und planen das auch als Regel für alle künftigen Bände. Unter dem Titel „Der Eine als der Andere“ hat sich Manfred Görg mit dem Gottesnamen im Alten Testament befasst.

Weiter dokumentiert das Heft Höhepunkte des Programmangebots der Freunde Abrahams: Der Vortrag von Reverend Emanuel O. Nwaoru vom renommierten Catholic Institute of West Africa, „Interreligious Tension in Nigeria Today: Challenges and Prospects“ ist ebenso nachzulesen wie Rabbi Jonathan Magonets unorthodoxe Überlegungen zu Genesis 22: „Hat Abraham Gottes Prüfung bestanden?“ und Stefan Jakob Wimmers Vortrag zu Highlights und Alltag mit den Hebraica-Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek: „Hebraica Monacensia“. Georg Gafus stellt Beispiele kleiner und großer Ökumene in der bayerischen Provinz vor. Schließlich freuen wir uns, die jüngst in Graz entstandene Erklärung zum interreligiösen Dialog „ComUnitySpirit“ verbreiten zu dürfen, so wie das „Muscat Manifesto“, eine Erklärung des Theologen David F. Ford von der Univer­sität Cambridge zur jüdisch-christlich-islamischen Verständigung – zugleich eine Reminiszenz an die Reise von Freunden Abrahams in das Sultanat Oman im Herbst 2012.

Bitte fördern Sie den Fortbestand unserer Zeitschrift
Blätter Abrahams – Beiträge zum interreligiösen Dialog!

Alle dreizehn bisher erschienen Hefte sind einzeln zum Preis von 8,- € bzw. 5,- € (für Mitglieder) oder zusammen für 80,- € bzw. 50,- € (für Mitglieder), zzgl. Versand, erhältlich. Auf Wunsch werden Förderer in der Zeitschrift genannt.

 


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