Schöpfung und Leben

Der Glaube an Einheit und Vielfalt in den Religionen

Gedanken zum Emblem der Gesellschaft FREUNDE ABRAHAMS

von Manfred Görg

Emblem mit Skarabäus Emblem Freunde Abrahams

Das Emblem der Gesellschaft FREUNDE ABRAHAMS führt in ein Stadium in der Entwicklung religiöser Vorstellungen, das den drei großen monotheistischen Religionen vorausgeht. Es entstammt der Dekoration der Unterseite eines in Palästina/ Israel gefundenen und jetzt im Besitz der Gesellschaft befindlichen Skarabäus, d.h. eines käfergestaltigen Gegenstands der ägyptischen Kleinkunst, wie er in unzähligen Exemplaren und Varianten den ägyptischen Glauben an die Erneuerung der Schöpfung und des Lebens bezeugt. Der Käfer, der in der hieroglyphischen Kultur und Religion Werden und Bewegung symbolisiert, ist in dem frühen Kulturbereich der Ägypter seit eh und je ein Wahrzeichen des Glaubens an ein wiedererstehendes Leben, ja an eine Auferstehung, die der höchste Gott garantiert.

Die dreiteilige Dekoration zeigt zuoberst die Sonnenscheibe, die der Position und Wirksamkeit des höchsten Gottes als des Schöpfers aller Dinge bildlichen Ausdruck verleiht. In der Bildsprache der Religionen ist es gerade die Sonne, die als Metapher für Gottes Schöpferkraft dient. Unterhalb der Sonne und im Zentrum der Szenerie erscheint der symbolträchtige Käfer selbst, der die Sonne sozusagen über die Himmelsbahn schiebt.

Auf unserer Darstellung wird der Käfer beiderseits begleitet von je einer aufgerichteten Schutzschlange, einem sogenannten Uräus, der ähnlich wie an der Stirn des Pharao eine „apotropäische“, d. h. schützende und jedwedes Übel abwehrende Funktion hat. Der Weg der Sonne über die Himmelsbahn wird mit den Schutzsymbolen vor dem Zugriff chaotischer Mächte bewahrt.

Ihren Ausgangspunkt nimmt die Sonne im Urmeer, das hier durch den Lotusteich repräsentiert wird. Die Lotuspflanze ist die Urpflanze der Schöpfung und symbolisiert Regeneration und unsterbliches Leben. So wird zugleich der tägliche Weg der Sonne zum Sinnbild für das sich immer wiederholende Schöpfungsgeschehen insgesamt.

Was hat diese kosmische Symbolik mit dem Miteinander der drei monotheistischen Religionen zu tun? Gemeinsam ist ihnen doch der Glaube an den lebensstiftenden und lebenserneuernden Gott, an dem Wohl und Wehe der ganzen Schöpfung hängt. Dieser Glaube ist das Substrat, ohne das auch die religiösen Überzeugungen, die in den heiligen Büchern der Bibel und des Koran zum Ausdruck kommen, nicht verständlich sind. Gott offenbart sich in der Schöpfung und im Leben der Natur auf unübersehbare Weise. Judentum, Christentum und Islam bekunden auf je eigene und unverwechselbare Art dieses fundamentale Bekenntnis, dass der eine und einzige Gott zugleich das absolute Prinzip allen Seins ist.

Gestalt und Dekoration des hier vorgestellten Skarabäus lassen erkennen, dass er aus einer Zeit vor etwa 3500 Jahren stammt. Wahrscheinlich hat er schon vor der Zeit der sog. Hyksos als kleines Dokument des Glaubens gedient, in einer Zeit also, in der sowohl in Palästina wie auch in Ägypten semitische Herrscher das Sagen hatten (ca. 1650 – 1550 v. Chr.). Obwohl die Ägypter diese Zeit als Fremdherrschaft empfunden und in schlechter Erinnerung behalten haben, war sie wohl doch eine Zeit des internationalen Kulturaustausches und der Begegnung zwischen den Religionen. Mit gutem Grund denken nicht wenige Bibelwissenschaftler daran, in den Geschichten der Väter und Mütter Israels in der „Älteren Bibel“ des „Alten Testaments“, also gerade auch in den Abrahamsgeschichten, eine Art kollektiver Erinnerung an eine gewaltfreie und familiengebundene Gesellschaft lange vor der staatlichen Zeit Israels wahrzunehmen.

Und noch an eine weitere für die Religionsgeschichte wichtige Periode erinnert unser Skarabäus, dem sicher eine lange „Laufzeit“ beschieden war. In der Zeit des Königs Echnaton (Amenophis IV.) ist dem Sonnengott in der Königsresidenz Amarna eine einzigartige und exklusive Verehrung zuteil geworden, die zeitweise den ägyptischen Glauben an den einen Gott und die vielen Götter abgelöst hat, sich aber nicht gänzlich durchsetzen konnte. Die Nachwelt hat freilich die Verherrlichung der Schöpfung und der Natur unter den Strahlen der Sonne in der Poesie der Amarnazeit bewundert und weiter getragen, so dass das Judentum (vgl. den Psalm 104) und das Christentum (vgl. den Sonnengesang des Franziskus) daran Anteil gewinnen konnten.

Gerade in der Amarnazeit ist der Weg der Sonne aus dem Lotosteich an den Himmel vielfältig besungen worden. Der Glaube an den einen Gott ist bekanntlich der entscheidende Vergleichspunkt in den Religionen des Judentums, des Christentums und des Islam geworden

So eignet sich die Dekoration als übergreifendes und überzeitliches Sinnzeichen der Begegnung unter der Schirmherrschaft des Gottes, den die Bibel „Sonne der Gerechtigkeit“ nennen kann. Wir möchten wünschen, hoffen und dazu beitragen, dass die weitere Entwicklung dazu führt, dass die Religionen in gemeinsamer Verantwortung vor dem einen Gott einander im vollen Sinne gerecht werden und uns dem Frieden näher bringen.

Weiterführende Literatur:

E. Hornung, Die Anfänge von Monotheismus und Trinität in Ägypten, in: K. Rahner (Hrsg.), Der eine Gott und der dreieine Gott. Das Gottesverständnis bei Christen, Juden und Muslimen, Freiburg 1983, S. 48-66.
O. Keel – C. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (Quaestiones disputatae 134), 4. Auflage, Freiburg 1998.
M. Görg, Die Barke der Sonne. Religion im alten Ägypten, Freiburg 2001.


Zurück zur Auswahl