Abrahams Post 34

EDITORIAL:

Abraham am Sinai

Am 25.12.2018 wäre der 1981 ermordete ägyptische Präsident Anwar as-Sadat einhundert Jahre alt geworden. Unvergessen ist seine Friedensreise nach Jerusalem im November 1977, die nicht die von ihm angestrebte umfassende Lösung des Nahostkonflikts gebracht hat, aber anhaltenden Frieden für sein Volk und den Rückzug Israels von der besetzten Halbinsel Sinai. Mit der vollständigen Rückgabe an Ägypten, die für April 1982 vereinbarungsgemäß vollzogen wurde, hatte Sadat vor, sein Amt niederzulegen und sich einer krönenden Vision zu widmen: Am Berg Sinai, nahe dem altehrwürdigen Katharinen­kloster, wollte er einen gemeinsamen Komplex von drei Gebets­häusern für Muslime, Christen und Juden – eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee – errichten.

Weder die Hebräische Bibel, noch das Neue Testament, noch der Koran bringen Abraham mit dem Berg Sinai in Verbindung (auch wenn er auf dem Weg nach Ägypten und zurück die Halbinsel durchzogen haben müsste, wohl auf der üblichen Route entlang der Mittelmeerküste). Doch wie Sadat hervor­hob, stellt die Offen­barung der Tora mit den Zehn Geboten an Moses eine gemeinsame Grundlage für die drei Religionen dar, die sich auf je eigene Weise auf Abraham berufen. Ob der heute Dschebel Musa, „Mosesberg“ genannte Ort das heilsgeschichtliche Gesche­hen geographisch lokalisiert, spielt dabei keine Rolle – ebenso wenig wie die Frage nach der Historizität von Moses oder von Abraham. Wer den Berg gesehen hat, kann sich keine passendere Szenerie dafür vorstellen. Und wer immer sich auf den Glauben Abrahams beruft, müsste sich Sadats Vision eigentlich zu eigen machen.

Prof. Dr. Dr. Karl-Josef Kuschel, der dem Kuratorium der Freunde Abrahams vor­steht, ist zu verdanken, dass er in seinem jüngsten Buch an die in tiefer islami­scher Frömmigkeit begründete, Religionen verbindende Weite von Sadats Denken und Handeln erneut erinnert hat.

Stefan J. Wimmer


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Aus dem Verein

Neu im Kuratorium: Archimandrit Peter Klitsch

Mit dem 1. Januar 2019 hat eine neue dreijährige Amtszeit des Kuratoriums der Freunde Abrahams begonnen, und wir freuen uns sehr, dass wir als neues Mitglied den Pfarrer der griechisch-orthodoxen Salvatorkirche und Bischöf­lichen Vikar in Bayern, Archimandrit Peter Klitsch begrüßen dürfen!

Mit ihm gehört erstmals ein Vertreter der christlichen Orthodoxie dem Kuratorium an. Zudem betreut er als Priester eine traditionsreiche und historisch bedeutende Institution in der Münchner Altstadt. Dass Münchens Griechische Gemeinde schon seit 1829 eine spätgotische Kirche im Herzen der Stadt für ihre Liturgie nutzen kann, ist bekanntlich dem historischen Umstand zu ver­danken, dass Griechenlands erster König Otto ein Sohn von Bayerns Ludwig I. war. Er fand nur wenige Meter entfernt, in der Fürstengruft der Theatinerkirche, seine ewige Ruhe.

Im letzten Herbst konnten Freunde Abrahams den jungen Priester kennen­lernen, als er uns am 23.10.2018 in der Salvatorkirche die Ikonen vorstellte, als „Fenster der Ewigkeit – Vorbilder für Menschen“. Er wurde 1976 als Sohn einer griechischen Mutter und eines schlesischen Vaters in München geboren. Nach seinem Abitur 1997 an einem kirchlichen Gymnasium in Kavala, dem Studium der Sozial­pädagogik bis 2001 in Athen und der Theologie bis 2006 in Thessaloniki kehrte er nach München zurück und ist seit 2008 Pfarrer der Kirchengemeinde „Verklärung des Erlösers“ in der Salvatorkirche.

Willkommen, Pater Petros! Καλώς ήρθατε, Πάτερ Πέτρος!


Danke, Christel Neudeck!

Wir blicken voller Stolz darauf zurück, dass bei seiner Gründung 2010 Rupert und Christel Neudeck für das Kuratorium der Freunde Abrahams gewonnen werden konnten. Beide zusammen haben mit der „Cap Anamur“ und der Rettung von Boots­flüchtlingen vor Jahrzehnten schon vorgemacht, was Mensch­­lichkeit bedeutet und gerade heute wieder von uns einfordert. Dem Friedenscorps Grünhelme gilt weiterhin das Engagement der Witwe unseres 2016 verstorbenen Freundes. Um ihre zahlreichen Verpflichtungen zu zentrieren, hat Christel Neudeck darum gebeten, dem Kuratorium ab 2019 nicht mehr anzugehören. Christel, wir bleiben dankbar für alle Unterstützung und werden unsere Freundschaft fortsetzen!


Der Geist von Manfred Görg

von Brigitte Hutt

Zum dritten Mal beteten wir am 16.09.2018 das „Abrahamische Friedens­gebet“, zum zweiten Mal verliehen wir den Manfred Görg-Preis für religions­geschicht­liche Forschung und interreligiösen Dialog, beides nah am Todestag unseres Gründers (17.09.2012). Mit großer Aufmerksamkeit wohnten dem Friedens­gebet ca. 50 Menschen bei, als Vorstandsmitglied Dr. Hubert Brosseder sowie die beiden Preis­träger Gönül Yerli und Steven Langnas in der Heilig-Geist-Kirche im Herzen Mün­chens ihre Gedanken zum Thema „Das Fremde“ vortrugen (Ausschnitte unten).

Am Abend fand die Preisverleihung in einem randvollen Karmelitersaal statt. Der Juniorpreis ging 2018 an den Abiturienten und jetzt Studenten der Philosophie Benedikt C. Breil, der in seiner ausgezeichneten Arbeit ebenso wie in seinen Dankes­worten bei der Preisverleihung genau die Anliegen der Freunde Abrahams ansprach (siehe auch die Blätter Abrahams 18). Der Senior­preis ging an Steven Langnas für seine Initiative eines Münchner Lehrhauses der Religionen, der uns seine große Freude über diese Würdigung mitfühlen ließ. Auch die Empfän­gerin eines Sonderpreises, neu in diesem Jahr, die im Münchner interreli­giösen Dialog nicht wegzudenkende Penzbergerin Gönül Yerli, sah den Preis als Bestä­tigung nicht nur der Gedanken ihrer Masterarbeit, sondern auch ihres Tuns. Ab­ge­rundet wurde der Abend durch die Musikbeiträge von Ferenc Kölcze und Klaus Kämper, die den Saal mit den genialen Klängen und der tiefen Religiosität eines Johann Sebastian Bach füllten. Manfred Görg hätte seine Freude daran gehabt.

Die Freunde Abrahams planen eine Dokumentation dieses Tages, die dann auch die Fotos von Wolfgang Roucka zeigt, von denen Sie jetzt schon einige auf unserer Website sehen können. Wir werden Sie darüber auf dem Laufenden halten! Doch hier erst einmal die Gedanken zum „Fremden“:

Hubert Brosseder: … Da läuft ihm eine Fremde schreiend nach und fleht Jesus um Hilfe an für ihre Tochter, die von einem schrecklichen Dämon geplagt wird. […] die Frau gibt nicht auf und lässt sich nicht einfach wegschicken. […] (Sie) bleibt bewundernswert hartnäckig: „Auch die Hündchen essen von den Brocken, die vom Tisch ihrer Herren fallen!“ Jetzt schwenkt Jesus um. Jetzt hat er begriffen, dass Heil und Heilung nicht nur dem eigenen Volk gelten. Jetzt ist es bei ihm angekommen, dass Gott das Heil aller Menschen will.

Gönül Yerli: … Die Fremden, die Abraham aufsuchen, sind himmlische Boten, die mit einer frohen Botschaft kommen, den ersehnten Nachwuchs anzukündigen. Doch davon sollte Abraham erst im Nachhinein erfahren. Ohne zu zögern und ohne zu wissen, wer diese drei Gestalten sind, lädt Abraham in seine Privatsphäre ein. […] Gottvertrauen, wie es Abraham immer wieder im Koran belegt, ist Voraussetzung für den Glauben. Wie Abraham dem Fremden, dem Unbekannten, dem Unschein­baren entgegenzutreten.

Steven Langnas: „Wie ein Eingeborener von euch soll euch der Fremdling sein, der sich bei euch aufhält, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremdlinge wart ihr im Lande Ägypten, Ich bin der Ewige euer Gott!“ (Leviticus 19:34-35) […] Ich bin der Ewige euer Gott – genau wie ich dein Gott bin, bin ich sein Gott, ich bin der Gott von Fremdlingen – von allen Menschen. Alle Menschen als Gottes Kinder zu betrachten in der erste Schritt zum Frieden.


Weihnachten im Koran – ein Bibliolog

von Matthias Hofmann

Das Judentum ist bekannt für seine hohe Streitkultur, wie denn das Wort Gottes zu verstehen sei (Ps 1,1-2: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen / noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!“).

Und so ist es nicht verwunderlich, dass es ein Jude war, der die Methode des Bibliologs ersann. Eine wunderbare Methode, um sich vollständig auf einen Text einzulassen, regelrecht in den Text einzutauchen. Ganz explizit geht es dabei nicht um politische oder theologische Statements und auch nicht darum, in Dialog mit anderen zu kommen. Vielmehr bietet die Methode des Bibliologs die Möglichkeit, ganz persönliche eigene Erfahrungen mit dem Text zu machen.

Als eine der wenigen zusammenhängend erzählten Geschichten im Koran eignet sich die Weihnachtsgeschichte des Korans (19,16-36) sehr gut für einen Bibliolog. Zur Umsetzung eines solchen interreligiösen Vorhabens braucht es natürlich musli­mische Unterstützung. Dankenswerterweise hat die Partnerin meiner Wahl, Frau Gönül Yerli, sofort zugesagt, und es wurde eine sehr inspirierende Zusammenarbeit.

Zur ersten Veranstaltung am Dienstag 4. Dezember 2018 im Islamischen Forum Penzberg wurden von Frau Yerli gezielt Muslime und Nicht-Muslime eingeladen, von denen sie wusste, dass wenig Berührungsängste mit fremden Herangehens­weisen an heilige Texte bestehen. In dem mit 38 Personen bis auf den letzten Platz gefüllten Saal sind Muslime und Christen dann gemeinsam in die muslimische Versi­on der den Christen so hinlänglich bekannten Weihnachtserzählung eingetaucht.

Zum Abend am Donnerstag 13. Dezember 2018 im spirituellen Zentrum St. Martin kamen trotz intensiver Werbung außer Frau Yerli leider keine muslimischen Teilnehmer, und der Raum war mit 12 Teilnehmern auch nur etwa zur Hälfte gefüllt. Das Interesse der christlichen Seite am Inhalt des Korans war deutlich größer als das Interesse der muslimischen Seite an einer fremden Methode.

Es ist berührend und bereichernd, wenn Menschen sich auf die Inhalte von heiligen Texten einlassen und sich ganz persönlich angesprochen fühlen, jenseits der bereits bestehenden typischen theologischen Auslegungen. Gerade in ihrer Unterschied­lich­keit bezeugten die beiden Veranstaltungen, welche Vielfalt im Text und uns Menschen schlummert.

Unisono jedoch war die Verblüffung groß, wie ähnlich sich die beiden Weihnachtserzählungen sogar im Detail sind. Gerade für kritische Christen ist es spannend zu bemerken, dass die Jungfrauengeburt auch vom Koran bezeugt wird. Unter Muslimen hingegen ist es gar nicht so bekannt, dass der Koran überhaupt eine Weihnachtsgeschichte erzählt.

Sich jenseits der bekannten theologischen Standpunkte direkt von einem heiligen Text ansprechen zu lassen, ist nach meiner Einschätzung eine wesentliche Antwort auf die Frage, ob und wie Religionen in einer pluralen Gesellschaft noch lebensbejahende Beiträge liefern können.

Wenn wir uns im Wissen um den einen gemeinsamen Gott vom heiligen Text einer Bruderreligion berühren lassen, erfahren wir eine Stärkung, die wir angesichts der täglichen Nachrichten über religiöse Intoleranz und den politischen Missbrauch der Religionen dringend brauchen können.

Mein Dank gilt den Freunden Abrahams und dem Islamischen Forum Penzberg, die Schritte in diese Richtung ermöglichen.
Die Möglichkeit, in die Weihnachtsgeschichte des Korans mittels eines Bibliolog einzutauchen, wird es im Dezember 2019 hoffentlich erneut geben.


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Blick über den Tellerrand

Bleibt Sadats Vision ein Traum?

von Stefan Jakob Wimmer

Im Editorial dieses Heftes wird daran erinnert, dass der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat (1918-1981) den Plan verfolgte, im Umfeld des Mosesberges auf der Halb­insel Sinai einen gemeinsamen Komplex aus Moschee, Kirche und Synagoge zu errichten. Karl-Josef Kuschel, der Vorsitzende des Kuratoriums der Freunde Abrahams, berichtet in seinem neuen Buch von einem nächtlichen Gespräch auf dem Nil zwischen Sadat und dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt (siehe dazu den Buchtipp). Beider Geburtstage jährten sich am 23.12. (Schmidt) bzw. 25.12. (Sadat) des letzten Jahres zum 100. Mal. Kuschel greift in seinem Buch auch Sadats Vision von einem Pilgerort für Juden, Christen und Muslime auf und dokumentiert, wie Helmut Schmidt und diverse andere Zeitzeugen zuweilen davon sprachen, dass der Komplex entweder auf dem Gipfel des Berges oder an dessen Fuß geplant gewesen sei. Dort, an der Nordseite, besaß Sadat ein einfaches Haus, in das er sich häufig zu Gebet und Meditation zurückzog. In gerade­zu ergreifender Weise ist das dokumentiert in den eindrucksvollen Schwarz-weiß-Fotografien des Bildbandes von Konrad R. Müller, die kurz vor Sadats Tod ent­standen (Anwar El Sadat. Letzte Bilder und Gespräche, Molden Vlg. 1981). An diesem Ort hätte Sadat sich, seinem letzten Willen gemäß, auch sein Grab gewünscht. Seine Witwe Jehan allerdings entschied, dass der Präsident in Kairo beerdigt wurde, direkt am Grab des Unbekannten Soldaten, wo das Attentat auf ihn statt­gefunden hatte – damit sich sein Volk nicht von ihm entfremden würde. Und doch ist genau das geschehen. In beunruhigend kurzer Zeit schwand in Ägypten die Erinnerung an Sadat, und es spricht einiges dafür, dass dieser Prozess der Entfremdung nicht erst nach seinem Tod, sondern schon einige Zeit davor eingesetzt hatte.

Nun befinden sich auf dem Gipfel des Mosesberges schon seit langer Zeit zum einen eine relativ bescheidene orthodoxe Kirche und gleich daneben eine noch kleinere und noch einfachere Moschee. Und sogar innerhalb der hohen Mauern des berühmten Katharinenklosters am Fuß des Berges, an der Ostseite, steht nicht nur die ehrwürdige Klosterbasilika über dem traditionellen Standort des brennenden Dornbusches aus der Bibel, sondern gleich daneben auch eine alte Moschee in würdig zurückhaltender Architektur und mit einem eindrucks­vollen Minarett direkt neben dem Kirchturm. Seit je her lebten und leben die griechischen Mönche des Klosters in enger, gegenseitiger Verbundenheit mit den örtlichen, muslimischen Beduinen.

Es ist im Orient ja alles andere als ungewöhnlich, dass Moscheen und Kirchen in enger Nachbarschaft errichtet wurden, und häufig gesellten sich in der Ver­gangenheit ebenso selbstverständlich Synagogen dazu. In einem besonders alten Stadtviertel Kairos kann man das heute noch so besuchen, aber dasselbe gilt auch für das trubelige Einkaufsviertel in der Innenstadt – wiewohl in den Synagogen kaum noch Gottesdienste stattfinden, nachdem in den letzten Jahrzehnten beinahe alle Juden Ägyptens das Land verlassen haben. (Siehe auch „Gute Nachricht“)

Eine solche Konstellation aus Gotteshäusern, wie sie Sadat vorschwebte, war also aus ägyptischer, aus orientalischer und überhaupt aus muslimischer Perspektive nichts absolut Ungewöhnliches oder Innovatives. Und es darf uns ruhig zu denken geben, dass es nur uns im Westen so vorkommt. Dennoch war Sadats Idee kühn und hätte auf ihre Weise zukunftsweisend werden sollen. Denn sie stand selbst­verständlich im Kontext des Friedens zwischen Ägypten und dem jüdischen Staat Israel, der von Sadat angestrebten, gerechten Lösung für die Palästinenser und damit der von ihm erhofften, endgültigen Lösung des Nah­ost­konflikts insgesamt.

Vor diesem Kontext ist immerhin bemerkenswert, dass Karl-Josef Kuschel, nachdem er sich brieflich an einen Neffen Sadats wandte, als Antwort einen Aufruf zur Wiederbelebung des Projekts erhielt. Er trägt denselben Namen wie sein berühmter Onkel („El Sadat“ und „as-Sadat“ sind lediglich verschiedene Umschrift­varianten aus dem Arabischen ohne Bedeutungsunterschied). Der volle Wortlaut ist in dem oben genannten Buch Kuschels nachzulesen, Auszüge daraus lauten:

Hiermit möchte ich dem ägyptischen Staat eindringlich nahelegen, den Aufruf von Präsident Sadat wiederzubeleben, einen religiösen Komplex beim Katharinen­kloster auf dem Sinai zu errichten, der eine Moschee, eine Kirche und eine Synagoge umfasst. Ich wende mich insbesondere an die folgenden nationalen Körperschaften: Al-Azhar, die Kirche, die Jüdische Gemein­schaft, das Ministerium für Kultur und die Bibliothek von Alexandria. (…) Solch ein religiöser Komplex wird der ganzen Welt eine genuine Botschaft für Toleranz aller abrahamischen Religionen aussenden. Er wird unseren Glauben bestär­ken, dass wir alle einen Gott haben und wir alle Kinder Abrahams sind. (…)

Ich lade Regierungen anderer Länder, Organisationen, befasst mit inter­religiösem Dialog und alle, die für friedenstiftende Werte eintreten, ein, mit uns in Verbindung zu treten, um eine Projektgruppe zur Arbeit an diesem Vorschlag zu bilden (…). Dieser religiöse Komplex wird der Nukleus einer neuen Gesellschaft sein, die Vielfalt und Glaubensfreiheit respektiert und Gewalt und Extremismus verurteilt. (…) Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit in welcher Form auch immer, sodass wir den kommen­den Generationen einen beispielhaften und segensreichen Beitrag bieten können.

Mohammed Anwar El-Sadat, Chairman of El Sadat Association for Social Development, Kairo

(Übersetzung aus dem Englischen; ich danke K.-J. Kuschel, der mir die vollständige Original­fassung zugänglich machte.)

Blickt man auf die Entwicklungen zurück, die seit jenen hoffnungsvollen Tagen nach Sadats Friedensreise nach Jerusalem vor rund vierzig Jahren über den Nahen Osten hinweggezogen sind, dann klingt dieser Aufruf freilich wie die buchstäbliche Stimme eines einsamen Rufers in der Wüste … – Die Stimmung in der ägyptischen Bevölkerung gegenüber Israel ist längst wieder kompromiss­los unver­söhnlich geworden und so feindselig, als hätte es keinen Frieden gegeben. Jegliche Einbeziehung Israels in ein Projekt auf dem Sinai ist heute schlechterdings undenkbar – einmal abgesehen von der effektiven militärischen Bekämpfung der islam-missbrauchenden Da’esh-Terroristen, als gemeinsame Feinde, im Norden der Halbinsel. Solche und mit ihnen sympathisierende Kräfte in Ägypten würden ein die Religionen verbindendes Symbolprojekt wohl mit allen ihren Mitteln bekämpfen. Und dann – das sollten wir keineswegs vergessen – blieben da auch immer noch die innerchristlichen Hemmnisse. Denn aus ägyptischer Sicht käme selbst­ver­ständlich allein die eigene nationale koptische Kirche in Frage, um den christlichen Part am Projekt zu übernehmen. Das griechisch-orthodoxe Katharinenkloster aber würde in seiner Umgebung zwar Moscheen, vielleicht auch eine Synagoge, aber wohl keine andere als eine griechisch-orthodoxe Kirche dulden. – Solange nicht in den Regierungen, aber auch in den Kirchen und Religionen Männer und Frauen auftreten von der Größe, der geistigen Weite und dem Mut eines Anwar as-Sadat und sich zu historisch günstiger Stunde miteinander verbünden können, wird sich daran auch nichts ändern.


Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh

Nach dem Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh (Pennsylvania) am 27.10.2018 richteten wir die folgende Botschaft an die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern und an die Liberale Jüdische Gemeinde München Beth Shalom:

Mit dem Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh hat wieder ein Mensch seine Verachtung anderer Menschen in grauenhafte Tat umgesetzt. Hier in Deutschland sind wir gefragt: Wir nehmen es nie wieder hin, dass jüdische Menschen in ihrer Würde gekränkt und in ihrer Sicherheit bedroht werden.

Lassen Sie uns gemeinsam aus unserem Entsetzen und unserer Trauer noch mehr Miteinander schmieden, viel mehr Offenheit füreinander und noch mehr Entschlos­sen­heit, dass die Verirrten und Verwirrten nie wieder unsere Geschicke bestimmen werden.

Prof. Dr. Stefan Jakob Wimmer für den Vorstand der Freunde Abrahams e. V.

Der Vorsitzende und der Rabbiner von Beth Shalom, Dr. Jan Mühlstein und Dr. Tom Kucera, haben mit einem Dank an die Freunde Abrahams geantwortet.

 

Für das Münchner Forum für Islam richtete Imam Dr. Benjamin Idriz folgende Stellungnahme an die jüdischen Gemeinden:

Der Vorstand und die Mitglieder des „Münchner Forums für Islam“ möchten Ihre Trauer und auch Ihre Sorge über den Angriff auf die Synagoge in Pittsburgh/USA mit Ihnen teilen. Ihr Schmerz ist unser Schmerz.

Als Muslime kennen wir Vorurteile und Anfeindungen gegen Minderheiten und erfah­ren Gewalt und Anschläge. In Deutschland sind wir uns der unver­gleichlichen Dimension der Verbrechen gegen Juden bewusst, die von hier ausgegangen sind. In Verantwortung aus der Geschichte und für unsere gemeinsame Zukunft wollen wir mit Ihnen zusammen gegen alle Formen von Menschenfeindlichkeit vorgehen und dafür arbeiten, dass wir und künftige Generationen in Frieden und Sicherheit, in Freundschaft und gegenseitigem Respekt miteinander leben.

Shalom und Salam!

Imam Benjamin Idriz
Vorsitzender des Münchner Forum für Islam

 

Achtung und Würde

Angesichts der Meldungen über wütende Proteste in Pakistan gegen den Freispruch der Christin Asia Bibi von dem Vorwurf, den Propheten Mohammed beleidigt zu haben, schrieb Imam Idriz am 12.11.2018:

Wir begrüßen sehr, dass die Justiz, die Regierung und unzählige Menschen in Pakistan für Gerechtigkeit eintreten und sich dafür einsetzen, dass das Leid der Frau beendet wird, die seit 8 Jahren in Haft saß. Wir sind aber gleichzeitig entsetzt, dass andere Menschen, besinnungslos vor Hass, der Frau Gewalt androhen – mit der „Begründung“, sie habe den Propheten Mohammed beleidigt. Abgesehen davon, dass laut Gerichtsentscheid nicht nachgewiesen ist, ob das, was ihr vorgeworfen wird, zutrifft, ist Gewalt hier unter keinen Umständen gerechtfertigt. Selbstverständ­lich bedauern wir es als Muslime, wenn der Islam oder unser Prophet von anderen verächtlich gemacht werden – denn unsere Religion lehrt uns, dass Menschen unterschiedlicher Religion sich gegenseitig in ihrer Würde achten und nicht verachten sollen. Der Prophet wird aber nicht so sehr durch vielleicht dumme, vielleicht unüberlegte, vielleicht auch gezielt provozierende Äußerungen von Nicht-Muslimen beleidigt. Es ist vielmehr das Verhalten seiner Anhänger, derer, die sich auf ihn berufen, das bestimmt, ob der Islam und der Prophet in der Welt geachtet und wertgeschätzt – oder gehasst und verachtet werden. Diejenigen, die in Pakistan zu Hunderten gegen eine einzelne, wehrlose Frau durch die Straßen ziehen und mit hassverzerrten Gesichtern Parolen brüllen, die unsere Religion auf den Kopf stellen – sie sind es, die den Propheten aufs Schrecklichste beleidigen. 

 


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Die gute Nachricht

Herzlichen Glückwunsch!

Vorstandsmitglied Judith Fröhlich hat in ihrem Leben einen neuen, bereichernden Weg eingeschlagen: Im September 2018 heiratete sie Dr. Stefan Einsiedel, der auch schon als Referent für die Freunde Abrahams tätig war.

Herzlichen Glückwunsch und alles erdenklich Gute, Herr und Frau Einsiedel!

 

Neu und neben einander: Ägyptens größte Moschee und Kirche

Ob es eine gute Nachricht ist, dass Ägyptens energischer Präsident Abdel-Fattah as-Sisi außerhalb von Kairo eine ganz neue Verwaltungshauptstadt aus dem Wüsten­boden stampfen lässt, sei einmal dahin gestellt. Aber ein Detail ist bemerkenswert: Im Zentrum der noch namenlosen Kapitale, die einmal sieben Millionen Einwohner haben und Anfang der 2020-er Jahre fertig gestellt sein soll, stehen nebeneinander eine Moschee und eine kopti­sche Kathedrale. Beide Gotteshäuser sind die größten Ägyptens, die Christi-Geburt-Kathedrale gilt überdies als größte Kirche des Nahen Ostens.

Beide wurden am 6. Januar 2019 vom Präsidenten eingeweiht, dem Vorabend des koptischen Weihnachtsfestes. Der Großscheich von Al-Azhar Ahmad at-Tayeb erinnerte daran, dass der Islam die Muslime verpflichtet, christliche und jüdische Gotteshäuser genauso zu achten und zu schützen wie Moscheen. Der koptische Papst Tawadros (Theodoros) II. sprach von einer neu aufge­schlagenen Seite in der Geschichte der Zivilisation. Präsident Sisi mahnte: „Wir werden niemandem erlauben, sich zwischen uns zu stellen.“ Muslime und Christen in Ägypten seien „eins und werden eins bleiben.“

 


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Buchtipps

Karl-Josef Kuschel:
„Dass wir alle Kinder Abrahams sind“. Helmut Schmidt begegnet Anwar as-Sadat. Ein Religionsgespräch auf dem Nil

Auf einer nächtlichen Fahrt auf dem Nil spricht der Muslim Anwar as-Sadat mit dem von der europäischen Aufklärung geprägten deutschen Kanzler Helmut Schmidt über die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam. Tief beein­druckt erkennt Helmut Schmidt den möglichen Beitrag für den Weltfrieden, wenn die Vertreter der Religionen damit ernst machten, dieses Wissen unter ihren Gläubi­gen zu verbreiten.

Karl-Josef Kuschel, Kuratoriumsvorsitzender der Freunde Abrahams, hat erstmals die Geschichte der Begegnung zwischen Schmidt und Sadat von vor über vierzig Jahren gründlich recherchiert und mit ihrer Vor- und Nach­geschichte verbunden. Eine Sternstunde des Religionsdialogs, deren Botschaft bis heute nach vorn weist (angelehnt an den Umschlagtext).

Patmos Verlag Ostfildern 2018, 237 S., ISBN 978-3-8436-1096-4, 25,- €

 

Blätter Abrahams

Das Heft 18 der Blätter Abrahams ist dem 80. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. Manfred Görg gewidmet. Nach ihm ist der in diesem Jahr zum zweiten Mal vergebene Preis für religionsgeschichtliche Forschung und interreligiösen Dialog benannt. Er ging an Benedikt C. Breil für seine Seminararbeit „Symbolische Handlungen im christlich-islamischen Dialog“, die hier, in leicht überarbeiteter Fassung, publiziert wird.

Dr. Georg Gafus, langjähriger Assistent bei Prof. Görg und Mitgründer der Freunde Abrahams, widmet seinen Beitrag der Erinnerung an ihn. Darin zeigt er auf, wie der Film „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni die Ausein­andersetzung mit der Schoah offenbar auch mit biblischen Bezügen verbindet – beides Inhalte, die auch Manfred Görg ganz bestimmend bewegt haben.

In Bayern wurden 2018 der Erlass der ersten bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818 und die Revolution vom 7. November 1918, die zur Gründung des Freistaates mit seiner demokratischen Verfassung führte, gefeiert. Daran anknüpfend untersuch­te der ehemalige Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Dr. Johannes Friedrich, der heute zusammen mit seiner Frau Dorothea Friedrich dem Kuratorium der Freunde Abrahams angehört, die Frage nach der Religion bzw. den Religionen in Bayern – „christlich, säkular oder multi-religiös?“ – in einem Vortrag am 29.10.2018 in der säkularisierten Karmeliterkirche.

Zwei weitere Vorträge aus dem Programm der Freunde Abrahams werden hier dokumentiert: Prof. Dr. Stephan Leimgruber bot eine umfassende Übersicht zum christlich-islamischen Dialog am 26.6.2018 in der LMU. Schon am 24.10.2017 referierte der Diplomtheologe Johannes Boldt in der Abtei Sankt Bonifaz zu seinem Spezialgebiet, der Mystik bei Johannes vom Kreuz und im Sufismus.

2017 führte die alljährliche Reise der Freunde Abrahams nach Malta. Neben Be­geg­­nungen mit Muslimen und Juden in dem kleinen, überwiegend katholischen Inselstaat war freilich der Besuch der Megalithtempel unser zentrales Anliegen: in ihrer Art beispiellose Monumente, die zur ältesten und zugleich eindrucksvollsten Architektur der Menschheitsgeschichte zählen. Eine Begegnung mit dem in Malta beheimateten und weltweit renommierten Architekten Richard England war in vieler­lei Hinsicht inspirierend. In seiner Sicht und seiner eigenen, gleichermaßen tech­nisch wie lyrisch formulierten Dar­stellung teilt er hier mit uns seine Gedanken zu den Tempelanlagen. – Im 13. Jahrhundert lebte auf der kleinsten der maltesi­schen Inseln, Comino, der jüdische Mystiker Abraham Abulafia. Seinem Lebensweg und seinem ihm nachgesagten messianischen Anspruch geht Stefan Jakob Wimmer hier nach – auch dies ein Zeugnis für das Fortwirken der Reise und für die dabei erwachsene Freundschaft mit Richard England.

An eine andere Reise, die 2016 die Freunde Abrahams nach Prag und Theresien­stadt führte, schließt der letzte Beitrag an, der eine bisher unbekannte Handschrift der jüdischen Gemeinde von Prag vorstellt. Als Fachreferent für Hebraica der Bayerischen Staatsbibliothek eröffnet Prof. Dr. Stefan Jakob Wimmer damit eine kleine Reihe, in der hier in den Blättern Abrahams in unregelmäßiger Folge neu erwor­bene, aber auch schon länger im Bestand befindliche, kleine Kostbarkeiten aus der bedeutenden Sammlung hebräischer Handschriften und alter Drucke vorgestellt werden sollen.

Bitte fördern Sie den Fortbestand unserer Zeitschrift Blätter Abrahams! Auf Wunsch werden Förderer in der Zeitschrift genannt. Alle achtzehn bisher erschienen Hefte sind einzeln zum Preis von 10,- € bzw. 5,- € (für Mitglieder) oder zusammen für 150,- € bzw. 75,- € (für Mitglieder), zzgl. Versand, erhältlich. Mitglieder erhalten je 1 Exemplar gratis (Wir bitten um Abholung bei den Veranstaltungen; Zusendung erfolgt auf Wunsch und gegen 2 € Versandkosten.)

 

Burkhard Josef Berkmann:
Internes Recht der Religionen – Einführung in eine vergleichende Disziplin

Jüdisches Recht im Zusammenhang mit der Beschneidungsdebatte, islamisches Recht in der Diskussion um Burka-Verbot oder das Schächten von Tieren, das Recht christlicher Kirchen bei Bischofsernennungen oder Fragen des kirchlichen Arbeits­rechts – das interne Recht der Religionen wird zunehmend zum Thema öffentlicher Debatten und Konflikte. Fragen des religiösen Rechts betreffen Bildungseinrichtun­gen, Krankenhäuser, Haftanstalten, die Arbeit der Polizei und zahlreiche weitere Bereiche des täglichen Lebens. In diesem Zusammenhang entwickelt sich die Ver­gleichung des internen Rechts der Religionen als neue Fachrichtung im Grenz­bereich zwischen Theologie, Rechts- und Religionswissenschaften. Ihren Gegen­stand und ihre Methode entfaltet der Autor ausgehend von bisherigen Forschungs­ansätzen. Neben einem Überblick über das Recht verschiedener Konfessionen und Religionen zeigt er auf, wie sich dieses im säkularen Recht europäischer Staaten einordnen lässt.

Prof. Berkmann stellte in einem Vortrag für die Freunde Abrahams am 14.01.2019 die Bandbreite dieses Bereichs vor. Wer den anschaulichen Abend verpasst hat, sei auf dieses Buch hingewiesen.

Kohlhammer Verlag, 2017, 231 S., ISBN 978-3-17-034034-3, 24,- €.


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