Abrahams Post 27

EDITORIAL: Laudato si‘!

Programmatisch hat Papst Franziskus seiner zu Pfingsten 2015 erlassenen Enzyklika die Anfangsworte aus dem Lobgesang der Schöpfung des Heiligen Franziskus vorangesetzt: Laudato si’ …, „Gelobt seist Du, Herr, mit allen Deinen Geschöpfen!” Von einigen schon als Wendemarke in der Kirchen­geschichte bezeichnet, macht die päpstliche Lehr- und Denkschrift die Sorge um Umwelt- und Klimaschutz zu einem vorrangigen Thema der Kirche. Achtsamkeit im Umgang mit der Schöpfung schließt alle Geschöpfe mit ein, daher geht es dem Papst auch um soziale Gerechtigkeit. Ökologie ist ohne Kritik am Weltwirtschaftssystem nicht zu haben.

Die „Sorge für das gemeinsame Haus”, so der Untertitel der Enzyklika, betrifft aber nicht nur die katholische Kirche. Franziskus wendet sich ausdrücklich „an jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt”, und seine Botschaft kann – und soll – auch als Aufruf zum Schulterschluss der Gläubigen aller Religionen gelesen werden: „Der größte Teil der Bewohner des Planeten bezeichnet sich als Glaubende, und das müsste die Religionen veranlassen, einen Dialog miteinander aufzunehmen, der auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist.“

Die Herausforderungen um das Überleben der Menschheit auf ihrem Planeten sind nur noch zu bewältigen, wenn die Konfessionen und Religionen gemeinsam an einem Strang ziehen. Weiterhin den jeweils eigenen Weg isoliert voneinander zu beschreiten, reicht heute nicht mehr aus. Aus Dialog muss interreligiöses Teamwork werden. Alles andere führt nicht in die Zukunft, sondern in die Irre.

Laudato si‘ könnte – müsste! – der Anstoß zu einem gemeinsamen Welt­projekt der Religionen werden. „Gelobt seist Du, Gott“ kennt u. a. auch jeder Jude und jede Jüdin: Baruch atah Adonai, jede Muslima und jeder Muslim: Subhânak Allâhuma.

Am Ende des Schreibens entwirft Franziskus zwei Gebete: eines, das ganz in der trinitarischen Sprache des Christentums gehalten ist, und eines, „das wir mit allen teilen können, die an einen Gott glauben, der allmächtiger Schöpfer ist“. Sie finden beide am Ende dieser Abrahams Post.

Stefan J. Wimmer


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Berichte zu Veranstaltungen

Lebendige Wasser in Bayern
Nachgedanken zum Tagesausflug nach Metten und Niederaltaich

von Stefan Jakob Wimmer

„Nicht die Berge der weiß-blauen Idylle sind das Kernland der Bayern, es ist der Fluss, der das Land von West nach Ost verbindet.“ Diese Erkenntnis konnte, wer wollte, vom Tagesausflug der Freunde Abrahams mitnehmen, der uns am 13. Juni an die niederbayerische Donau zu den Klöstern Metten und Niederaltaich führte. Das Zitat ist einem Beitrag von Rainer Meyer aus der Frankfurter Allgemeinen (7.6.2013) entnommen und steht dort im Kontext der Hochwasser, die vor zwei Jahren so mächtig in Erinnerung gerufen haben, wie wahr das ist. Als wir den Tag direkt am Donauufer beschlossen, berichtete uns der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde Niederalteich[1], Josef Thalhammer, eindrucksvoll davon, von dem langen Kampf, den die Gemeinde mit – ganz wörtlich – dem Segen der Abtei gegen den Flussausbau geführt hat. Ein Stein mit Inschrift erinnert dort an den Besuch des Ökumeni­schen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus zur Donausegnung im Jahr 1999. Das Oberhaupt der Orthodoxie ist selbst ein engagierter Vorkämpfer für die Belange der Ökologie.

Die Ökumene wird im Kloster groß geschrieben, schon seit Papst Pius XI. 1924 den Benediktinern aufgetragen hat, die Frömmigkeit des christlichen Ostens „im Abendland“ zu pflegen. Deshalb feiert ein Teil der Mönche auch heute die katholische Liturgie nach byzantinischem Ritus in einer eigens dafür eingerichteten zweiten Kirche. Der scheinbare Widerspruch, dass derselbe Papst den Katholiken ökumenische Aktivitäten wie die der damals entstehen­den (und bis heute bestehen­den) Una-Sancta-Be­wegung untersagte und vor einer falschen „Irenik“ warnte, erklärte der junge Frater David, der uns begleitete, damit, dass es der damaligen Kirche gar nicht um eine An­näherung an die Orthodoxie gegangen sei. Vielmehr hoffte Pius, das durch den Kommunismus zerrüttete russische Christentum eines Tages mithilfe von im östlichen Ritus entsprechend ausgebildeten Missionaren katholisch machen zu können.

Ach ja, wie würden wir gerne so manches Signal heute – glücklicherweise! – lieber anders interpretieren, als es die Urheber gemeint haben. Natürlich war auch die „Päpstin von Metten“, die dort in den farbenprächtigen Decken­fresken der bis zur Säkularisation so bedeutsamen Klosterbibliothek aus­gemacht werden kann, in der Barockzeit nicht als Wegweisung an spätere Aspirationen feministischer Theo­log/innen gedacht. Als Allegorie der Ecclesia wurde die Frauengestalt mit päpst­lichem Ornat einschließlich Tiara versehen. Vor ihr weichen denn auch die als finstere Gestalten karikierten Reformatoren Luther, Calvin, Zwingli und eine mit ihnen vergesellschaftete, mit antisemitisch verbrämten Zügen dargestellte vierte Gestalt erschrocken zurück. Dass für eine angemessene Besichtigung der Kloster­bibliothek viel zu wenig Zeit blieb, lag an unserer verspäteten Ankunft gleich zu Beginn des Tages. Auch an dessen Ende hätte sich noch Vieles ergänzen lassen, wofür die Zeit nicht reichte: über die spirituelle Bedeutung des Wassers etwa in den anderen Religionen, im Islam, im Judentum und natürlich in Ägypten, wo der Geist Gottes am Anfang aus der Urflut (zwar nicht der Donau sondern) des Nils aufflattert …

Dafür bot die Busfahrt genügend Raum, um uns mit den komplexen Prozessen um die frühe Christianisierung Bayerns zu beschäftigen – die in Nieder­altaich und entlang der Donau bis weit ins spätere Österreich hinein tiefe Wurzeln hat. Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches, das zuletzt ja schon christlich dominiert war, bedeutete das langsame Zusammen­wachsen unterschiedlicher, alter und neuer ethnischer Kompo­nenten zunächst eine Zeit auch religiöser Pluralität und – wenn wir den archäologischen Befund modern interpretieren – offenbar auch Liberalität. Das sich daraus formierende Stammesherzogtum der Baiern konturierte sich dann aber später im Verbund von Herrschaft und Kirche anhand immer strafferer Linien. Unsere legendären Heiligen der fränkischen und iroschottischen Mission, die die dann fortbestehenden Strukturen schufen, waren Fundamentalisten, die ange­treten waren, um alles Abweichende auszumerzen. Dass sich erstens mit der komplexen Ethnogenese, zweitens mit der identitätsstiftenden Durchsetzung eines konfrontativen Religionsverständnisses und drittens sogar mit einem „Ur-Text“ als Gründungsurkunde der neuen Gemeinschaft – die Lex Baiuvariorum hier und das „Gesetz des Mose“ dort – gleich eine Serie von Parallelen zur Entstehung und Entwicklung Israels (und freilich vieler anderer Ethnien) aufzeigen ließe, wird im nächsten Heft der „Blätter Abrahams“ ausführlicher behandelt werden.

[1]Die alte Schreibweise „-aich“ kommt von Ache („Fluss“) und wird für das Kloster heute wieder benutzt, die jüngere Schreibweise mit -ei- bringt die Eiche als Symbol ins Spiel und ist offizieller Ortsname. 


Jeder nach seiner Façon: Mennoniten in München

von Brigitte Hutt

„Ich möchte beten“ – mit diesen anrührend persönlichen Worten eröffnet eine junge Frau den Sonntagsgottesdienst der mennonitischen Gemeinde in München. Das allgemeine Priestertum jedes getauften Christen – in der mennonitischen Konfession ist es noch lebendig, wird es noch gepflegt und gewürdigt. Nicht nur in den Gottesdiensten, die heute zwar überwiegend von Theologen geleitet werden, in dieser Gemeinde von der sympathischen Pastorin Anna Janzen, aber gelegentlich auch vom Pastor der heimatgebenden evangelischen Simeonsgemeinde: Gelebte Basisdemokratie, Konsensfindung in anstehenden Themen, auch wenn es mal Monate dauert, Einbeziehung der „Laien“ auf allen Ebenen, das versuchen sie zu leben. Dabei sind sie sich bewusst, dass das ein immerwährendes Ringen ist, natürlich auch mit Problemen und Fehlern, aber sie beten um „Weisheit und Mut zu kleinen Schritten“; sie sind sich der Macht einzelner bewusst, aber sie beten darum, dass die Macht füreinander, für den anderen eingesetzt wird, bis hin zum Engagement für unterprivilegierte Menschen in der Gesellschaft. Mündige Christen wollen sie sein und vermitteln das auch bei den Gesprächen. Gastfreundlich sind sie ohnehin, das konnten wir zusammen mit weiteren Gästen aus anderen Städten erleben. Ein solches, fast paradiesisch anmutendes Gemeindemodell funktioniert vermutlich nur bei einer so kleinen Konfession, in der die Mitgliederzahlen der Gemeinden maximal einige Hundert betragen. Aber das Streben danach – das könnten sich doch auch andere Gemeinschaften zum Vorbild nehmen! Und dann nicht Angst vor Wahrheitsverlust haben wie manche organisierte große Kirche, sondern mit demselben Stolz wie Pastorin Janzen sagen: „Wir sind nicht einheitlich.“


„Ich segne dich bei Jahu und bei Chnum“

Gedanken zu Stefan J. Wimmers Hauptvortrag über die Nilinsel Elefantine – von Brigitte Hutt

Etwa 500 Jahre vor der Zeitenwende, noch vor der Eroberung Ägyptens durch die Perser, ist auf der Nilinsel Elefantine, dem „Tor zu Afrika“, eine prosperierende Gemeinde von – wie sie sich selbst nennen – Judäern nachzuweisen, das heißt Aussiedlern aus der Provinz Judäa. Sie leben dort mit Ägyptern und später auch mit Persern, weit weg von ihren geografischen Ursprüngen; möglicherweise sind es ehemalige Söldner, die sich hier niedergelassen haben. Im Land Israel hat sich zu dieser Zeit bereits ein strenger Monotheismus durchgesetzt, der aber diesen jüdischen Außenposten noch nicht erreicht hat: Hier lebt in den Anschauungen und Gebräuchen der Menschen nicht nur ihr Gott Jahu (sie schreiben ihn JHW, nicht JHWH wie in Israel üblich) gleichrangig mit den Göttern der Ägypter, namentlich dem Inselhauptgott Chnum, sondern Jahu hat an seiner Seite auch zwei weibliche Gottheiten, Aschim und Anat. Sie sind ihm nachgeordnet, bilden mit ihm eine antike Trinitätsvariante, und sie sind ebenso heilig wie er selbst. Und wie die Götter der Ägypter und das Feuer der zoroastrischen Perser. Kulturen leben neben- und miteinander, und eine Segensformel (aus einem Brief unter Juden) wie „Ich segne dich bei Jahu und Chnum“ zeigt religionsübergreifenden Respekt vor dem, was dem Nachbarn heilig ist.

Das alles lernen wir aus unzähligen Papyri, zum Teil nur in „Krümeln“ erhalten, die in Elefantine, im Areal der judäischen Gemeinde und ihres inzwischen lokalisier­baren Tempels, vor gut 100 Jahren gefunden wurden und noch immer nicht kom­plett aufgearbeitet werden konnten. Und noch mehr lernen wir: Mit dem Ende der Perserherrschaft verschwinden auch die Zeugnisse der judäischen Gemeinde, und wie wir heute wissen, hat der strenge Monotheismus wie auch die Abgrenzung zu anderen Religionen sich durchgesetzt. Das heutige Ägypten zeigt die Spuren dieser Gemeinde nicht gern, auch das ein Zeichen der Abgrenzung. Mauern wurden und werden errichtet zwischen Kulturen, Religionen, Staaten, Weltanschauungen, wurden und werden errichtet mit dem Anspruch, das eigene Heilige von fremdem Kulturgut fern und damit rein zu erhalten. Mauern und Kriege statt Miteinander und Respekt. Es bleibt der Wunsch: Möge eine Zeit kommen, in der jemand etwa sagen kann „Ich segne dich bei Gott, Jahwe und Allah“, denn – sind sie nicht alle ein und derselbe?


Neuland für die Freunde Abrahams

Eindrücke vom „Kreis der Religionen“ auf dem Corso Leopold von Yvonne Baur-Saleh

Luftballons in heiterem Orange, bedruckt mit einem Skarabäus und dem Schriftzug „Freunde Abrahams“, tanzen an einem Pavillon im Wind. Drumherum ein Potpourri aus Kunsthandwerk, Theater, Skulpturen, Musik, internationaler Gastronomie und Infoständen politischer Initiativen und Vereine, das am 16. und 17. Mai 2015 mehr als  300 000 Besucher anzieht.

Eine religionswissenschaftliche Gesellschaft mit Wirkungskreis in Bildungseinrichtun­gen als Akteur auf einem der größten Straßenfeste der Welt? Ungewohntes Pflaster für uns, aber immerhin noch in Sichtweite zu Staatsbibliothek und Universität. Die Ludwigstraße und die Leopoldstraße bis zur Münchner Freiheit verwandeln sich an zwei Wochenenden im Jahr in eine Fußgängerzone und sind Schauplatz des Streetlife-Festivals und des Corso Leopold. Erstmalig vertreten auf dieser Kunst- und Kulturmeile ist der „Kreis der Religionen“, ein Projekt auf Initiative von Pfarrer Gerson Raabe (Erlöserkirche) und dem Corsovorsitzenden Ekkehard Pascoe. Beteiligt sind neben der Erlöserkirche der Pfarrverband St. Sylvester/St. Ursula, die griechisch-orthodoxe Allerheiligenkirche, St. Markus, das Münchner Forum für Islam, die Evangelische Studierendengemeinde ESG an der LMU, die AG Christinnen und Christen bei der Linken, die alevitische Gemeinde und, dank der Bewerbung durch Enisa Bilalovic, auch die Freunde Abrahams.

Architektonisch wird der Kreis durch fünf Pavillons mit Infotischen für die teilnehmen­den Gruppen sowie eine Bühne realisiert, die im Halbstundentakt abwechselnd bespielt wird. Die Dächer der Pavillons sind mit farbigen Bändern symbolisch verbunden, ganz nach der Devise von Pfarrer Raabe: „Die gemeinsame Überzeu­gung lautet, dass Religion für die Stadtgesellschaft von Bedeutung ist. Die Religionen beteiligen sich an der Verwirklichung von Humanität in der Großstadt.“

Verantwortlich für unseren Infotisch ist Dr. Stefan J. Wimmer, tatkräftig unterstützt von Dr. Evelyn Scriba, Adelgunde Dietrich, Dr. Michael Usener, Sofia Wimmer, Brigitte Huemer, Hermann Benker und Matthias Hofmann. Das Format „Straßenfestival“ punktet im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, wie die  zahlreichen guten Gespräche mit Passanten zeigen, die sich mittels der ausliegenden Publikationen über Zielsetzung und Veranstaltungen der Freunde Abrahams informieren. Nein, wir sind keine neue Religion, klären wir ein verbreitetes Missverständnis auf. Auf Wunsch beschriftet unser sprachkundiger Vereinsvorsitzender Isarkiesel mit dem Vornamen der Standbesucher wahlweise auf „Hieroglyphisch“, Phönizisch, Hebräisch oder Arabisch.Großen Anklang finden zwei Quiz aus seiner Feder, eines mit Zitaten aus Bibel und Koran, die dem jeweiligen heiligen Buch zuzuordnen sind, sowie eines mit Fragen zu Spuren des Orients in München.

Auf der Bühne ist zu sehen, was gelebte Religion ausmacht: Andacht und Lebensfreude mit einer gesungenen Vesper, Koranrezitation und Sufimusik, mit Volkstanz und Improtheater. Wir steuern die beiden Quiz, eine Lesung und einen Kalligraphieworkshop bei.

Mariam Saleh, einer 18-jährigen Freundin Abrahams, die die Quizrunden betreut, fällt bei der Auswertung auf, dass Vielen die Verwandtschaft von Bibel und Koran unbekannt ist. Sie zeigt sich positiv überrascht von der völlig entspann­ten Atmosphäre bei Diskussionen über die Quizfragen, auch zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens. Da Medien und Schulen eher die Unterschiede zwischen den Religionen betonen, befürwortet die Abiturientin diese gemeinsame Präsenta­tion im öffentlichen Raum. Erstaunlich ist nur die häufige Fehleinschätzung des jeweiligen Anteils der Muslime und Christen an der Münchner Gesamtbe­völkerung. Wüssten Sie’s? (Auflösung unten)

Unser Mitglied Tinka Kleffner, Schauspielerin und Sprecherin, liest altägyptische Hymnen, Legenden aus dem Talmud und Fabeln muslimischer Mystiker. Durch ihre Bühnenpräsenz gelingt es ihr, den Trubel völlig auszublenden und ein imaginäres Erzählcafé zu zaubern. Ein Dutzend Zuhörer lauscht der angenehmen Stimme und lässt sich von den Geschichten in eine innere Welt entführen.

Auch die Künstlerin Bahar Çimen Hanika kreiert bei ihrem Workshop zu islamischer Kalligraphie mitten im Besucherstrom eine spirituelle Insel. Konzentriert und hingebungsvoll experimentieren spontan dazukommende Menschen mit arabischen Buchstaben und schreiben das im Koran auch als Metapher für Gott verwendete Wort „Nur“ (Licht).

Die corsoerprobten Freunde Abrahams sind sich einig: Im kommenden Frühjahr sind wir wieder dabei. Vielleicht auch mit orangefarbenen Luftballons.

Anm. der Redaktion:
Ein großer Dank für besonders engagierte Mithilfe vor und während des Corso geht an die Autorin dieses Beitrags.

Und hier die Lösung zur Quizfrage oben …

Gefragt war nach dem Anteil von Christen und Muslimen in der Münchner Bevölkerung. Derzeit sind es:
Christen: 54%, Muslime: 8%


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Aus München und Umgebung

Stolpergedenken

von Stefan Jakob Wimmer

Nicht ohne Bedacht wurde die Gedenkstätte an die Opfer der Schoah in Jerusalem Jad wa-Schem (in engl. Schreibweise Yad Vashem) benannt: Denen gebe ich in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen … einen ewigen Namen werde ich ihnen geben, der nicht ausgelöscht werden kann. In Jesaja 56, woraus diese Formulierung entlehnt wird, ist sie nicht auf Verfolgung und Vernichtung bezogen. Trotzdem stützt der besondere Stellenwert, der der Bewahrung des Namens in der alt­orientalischen und dann in der jüdischen Tradition eingeräumt wird, die überzeugende Prägnanz der Bezeichnung Jad wa-Schem: sie lautet wörtlich „Denkmal und Name“.

An die Namen verfolgter und ermordeter Menschen erinnern die sog. „Stolper­steine“. In zahlreichen Städten und Gemeinden in Deutsch­land und darüber hinaus lässt sich beobachten und selbst erfahren, wie effektvoll es sein kann, wenn unvermutet ein Name mit Geburts- und Todesdatum und ‑ort in unsere Wirklichkeit hereinblitzt, an genau dem Ort, an dem die Person zuletzt ihr Leben gelebt hat. Diese Namen in unseren Alltag zurückzurufen, omnipräsent im Stadtbild uns gleichsam auf Schritt und Tritt mit dem Gedenken zu konfrontieren, ist ein Konzept, das aus guten Gründen sehr viele Anhänger gefunden hat.

Andere haben auf einen Geburtsfehler der Kunstaktion von Gunter Demnig aufmerksam gemacht. Weder dem Künstler noch den Unterstützern seines Projekts noch dessen Gegnern, weder einer Religionsgemeinde noch einem Stadtrat noch selbst den Angehörigen steht es zu, zu wissen, ob das Opfer, dessen Name in den öffentlichen Boden verlegt wird, darin eine würdige Form des Gedenkens sähe oder eine anstößige. Zumal die Vorstellung, dass der Name eines Menschen grundsätz­lich nicht auf den Boden gehöre, unmittelbar eingängig ist. Wie viel mehr Achtsamkeit bedingt der Umgang mit den Namen ermordeter Menschen!

Ich selbst kann mich der Faszination der „Stolpersteine“, wenn ich ihnen in anderen Städten begegne, nicht entziehen. Das Konzept kommt an. Aber ich kann auch die Anstößigkeit nicht verdrängen, die sich jedes Mal einstellt angesichts eines wehrlos und schutzlos in das Straßenpflaster gebannten Namens.

Es ist verständlich, dass nicht nur, aber besonders im Judentum viele es un­erträglich finden, auf Schritt und Tritt, also ohne sich dafür oder dagegen entscheiden zu können, mit einer Form des Gedenkens konfrontiert zu werden, die Unbehagen hervorruft. Eben nicht nur Unbehagen angesichts der Verbrechen, sondern auch Unbehagen angesichts des nicht zu Ende gedachten Umgangs mit dem Gedenken, letztlich mit den Opfern selbst.

Siehe, in meine beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet, verkündet Jesaja Zion, also der Stadt Jerusalem (Jes 49,16). Dass jedes Menschen Name in Gottes Hand verzeichnet sei, wie die Stelle gerne in Predigten gedeutet wird, wird damit zwar nicht ausgesagt. In der Hand Gottes ist jeden­falls ein Name gut aufgehoben. Für den Boden unserer Gehsteige kann man das nicht sagen.

Nachdem aber inzwischen über 50.000 „Stolpersteine“ in vielen Ländern Europas das „größte dezentrale Mahnmal der Welt“ (Wikipedia) bilden, hat die Kunstaktion aus Köln längst eine Dynamik angenommen, die für grund­sätzliche Reflexion nicht mehr zugänglich ist. Die Kontroverse, die in München auch nach dem dritten Stadtratsbeschluss gegen die Verlegung auf öffent­lichem Grund nicht zur Ruhe kommt, macht dies deutlich. Zwar ist München durchaus nicht die einzige Kommune, die „Stolpersteine“ ablehnt (so werden sie u. a. auch in Augsburg nicht genehmigt), doch die Vehemenz, mit der diese Kontroverse hier ausgefochten wird, schadet dem Gedenken mehr, als die „Stolpersteine“ nützten.


Münchner Forum für Islam: Jetzt kommt’s drauf an!

Ein beherzter Spendenaufruf!

von Stefan Jakob Wimmer

Über das Projekt „Münchner Forum für Islam (MFI)“ von Imam Benjamin Idriz und seinen Mitstreiter/innen berichten wir für die Freunde Abrahams gerne und kontinuierlich, weil uns so viel Gemeinsames verbindet.

Im Januar wurden für das Areal an der Dachauer Straße, im sog. Kreativ­quartier, Pläne des Architekturbüros Alen Jasarevic (dem auch die viel bewunderte Penzber­ger Moschee zu verdanken ist) präsentiert und von den Medien enthusiastisch aufge­nommen. Das renommierte Kulturmagazin „Capriccio“ des Bayerischen Fernsehens schloss eine Reportage über das Projekt mit der Empfehlung (19.2.2015):

„Diese Stadt braucht diese Begegnungsstätte.
Und München ist bereit für sie.
Diese Stadt kann eine große Moschee nicht nur aushalten –
wir könnten sie willkommen heißen!“

Ende März teilte OB Reiter dem MFI-Vorstand mit, dass sich der Ältestenrat „für eine letztmalige Fristverlängerung bis Ende dieses Jahres für den Nach­weis der Finanzie­rung“ ausgesprochen hat. Die Kosten für das Bau­grund­stück, die bisher nur als grobe Schätzung im Raum standen, wurden vom Kommunalreferat am 8.6.2015 beziffert auf: rund 4.425.000 €.

Das laufende Jahr dürfte also die Entscheidung bringen …

Die Möglichkeiten zu spenden reichen von konventionell – Spendendosen, die aktuell verteilt werden (Idee: mind. 1 Euro pro Tag!) – bis zu innovativ – Spenden im Internet und über Paypal. 1 Quadratmeter des Grundstücks kostet 1.450 Euro – 3.000 Quadratmeter werden benötigt.

Wer spendet, nimmt Anteil an einem der aufregendsten Bauvorhaben im München unserer Zeit, trägt aktiv zu einer friedlichen Zukunft unserer Stadt bei und hilft, Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Spender werden gerne in geeigneter Weise auch inschriftlich vor Ort gewürdigt, haben aber keinerlei Einfluss auf den Betrieb und die Ausrichtung des MFI.

Wenn in diesem Jahr die Finanzierung gelingt, wird das Projekt MFI zu einem zentralen Thema in der öffentlichen Wahrnehmung in München. Um diesen Prozess und die damit bevorstehenden Herausforderungen zu begleiten, konstituiert sich derzeit ein Kuratorium. Als Gründungs­mitglieder konnten gewonnen werden:

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der EKD,
Alois Glück, Präsident des Zentral­komitees der deutschen Katholiken,
Stadtrat Marian Offman, Vorstands­mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern,
Großmufti Emeritus Mustafa Cerić, Präsident des Bosniakischen Welt­kon­gres­ses.

Weitere namhafte Persönlich­keiten aus der Politik, den Religions­gemein­schaften, den Medien, der Wirtschaft, der Kultur, Wissenschaft und Kunst haben ihre Zusage erteilt.

„Wer verstanden hat, was das MFI sein will und sein wird, der wird es, ob Muslim oder nicht, zu seinem ureigenen Anliegen machen.“

(Imam Benjamin Idriz, 23.1.2015)

Spendenkonto: Münchner Forum für Islam e.V., Stadtsparkasse München,
IBAN: DE03701500001001198322, BIC: SSKMDEMM

Laufende Informationen erhalten Sie, wenn Sie den MFI-Newsletter beziehen. Eine kurze E-Mail an info@islam-muenchen.de genügt, Sie erhalten die ca. 4-5 Ausgaben jährlich dann als PDF. Alle Ausgaben des Newsletters sind ebenso verfügbar unter: www.islam-muenchen.de/newsletter


München ist bunt – wer trägt welche Farbe?

von Brigitte Hutt

Münchner Bürgerinnen und Bürger setzen unter dem Motto „München ist bunt“ deutliche Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. So lesen wir, so erleben wir es, 2015 schon mehrfach. Gegen ein paar Hundert so genannte Pegida- (oder Bagida-) Anhänger stehen mehr als tausend Gegendemonstranten, gegen ein paar tausend …gida-Jünger gar 20.000 Münchner. Man steht in dieser Gegen­demonstrationswelle, schaut sich um, sieht ein paar bekannte Gesichter, viele fremde, und man freut sich und ist stolz. Die Stimmung ist positiv bis aufgeheizt. Sollen die nur kommen, die da drüben, die Rassisten, die Nazis, wir sind mehr, wir werden sie mit unseren Trillerpfeifen schon übertönen.

Die Rassisten, die Nazis. So tönt es auch von der mit städtischer Unterstützung errichteten Bühne der Gegenkundgebung im Januar. Die …gida-Anhänger, Menschen „gegen die Islamisierung des Abendlandes“, sind gemeint. Sind sie Rassisten, sind sie Nazis? Sind Rassisten, Nazis daran festzumachen? Oder sind sie mehrheitlich Münchner Bürger, die Angst vor Überfremdung haben, Angst, ihre liebgewonnenen Traditionen zu verlieren, oder noch schlichter: Angst um ihre wirt­schaft­liche Existenz durch Neubürger? Und aus dieser Angst heraus verführe­rischen Parolen folgen, die ihnen Lösungen versprechen, Lösungen, die zwar weder konkret noch sinnvoll sind (christlich schon gar nicht), aber verheißungs­voll klingen …

Unterscheiden sich die Münchner hüben und drüben, …gida-Demonstranten und Gegendemonstranten, wirklich so einfach? Worin unterscheiden sich „Nazis raus“-Rufer von „Flüchtlinge raus“-Rufern? Fängt Rassismus nicht manchmal schon dort an, wo der Vorwurf dazu unreflektiert gemacht wird? Wo Menschen mit Begeiste­rung eine Pauschale übergestülpt wird, denn das ist definitiv weniger anstrengend, als sich auf Differenzierungen einzulassen?

Im Münchner Alltag ist es jedenfalls eher unklar, wer „hüben“ und wer „drüben“ steht. Wenn die Menschen der beiden Richtungen nicht auf Kundgebungen stehen, kann man sie kaum unterscheiden. Einige Szenen:

Eine leidenschaftliche Moscheegegnerin sagt: „Wir fühlen uns verfolgt wie die Juden im Dritten Reich.“ Die Gegner, wohlgemerkt. – Eine andere bemerkt zum Bau der Synagoge am Jakobsplatz: „Müssen die gleich so groß bauen? Der schöne Platz!“ Beide keine Einheimischen, beide würden jeden Vorwurf von Fremdenhass empört zurückweisen, beide würden jederzeit die Parole „München ist bunt“ bejahen und eine …gida-Zugehörigkeit von sich weisen.

Einer Münchner Bürgerin wird bei einer Parkplatzdiskussion aufgrund ihres amerikanischen Akzents empfohlen, doch dahin zurückzugehen, wo sie herkommt. Einer waschechten Münchnerin wird aufgrund ihres Kopftuchs dasselbe empfohlen, als sie Raucher auf ein ausgeschildertes Rauchverbot hinweist. Die „Zurückschicker“ halten sich wahrscheinlich für moderne, aufgeklärte Bürger, vielleicht auch für weltoffen, für „bunt“.

Unser Alltag jenseits aller Kundgebungen ist nicht so bunt, wie wir meinen oder gern hätten. Oder vielleicht mischen sich die Farben nur stärker, unklarer, und zwar in jeder/m von uns. Jedes Schulkind weiß, was herauskommt, wenn man alle Farben des Malkastens mischt. Das können wir nicht wollen. Das stellt uns, jede und jeden von uns, vor die Daueraufgabe, unsere Gedanken, Worte und Taten zu reflektieren, das Niveau, das wir uns von anderen wünschen, selbst zu gewähr­leisten, keine unreflektierten Pauschalverurteilungen zuzulassen oder selbst auszu­sprechen, im Gespräch mit den anderen zu bleiben – die Farben Münchens wieder leuchten zu lassen. Alle Farben.


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Aus aller Welt

„Gott sei Dank ist die Zeit des Friedens bald vorüber!“
Macht sich eine abrahamitische Schattenökumene des Hasses breit?

von Stefan Jakob Wimmer

Seit einem Jahr versucht eine internationale Allianz, der westliche ebenso wie arabische Staaten angehören, der bedrohlichen Ausbreitung des soge­nannten „Islamischen Staates“ in Irak und Syrien mit Luftschlägen Einhalt zu gebieten. Mit bisher nur begrenzten Erfolgen. Man hat vielmehr den Eindruck, dass das Terrorgeschwür immer mehr Metastasen ausbildet, in Libyen, im Nordsinai, im Jemen, in Tunesien, in Nigeria … Dementsprechend flächen­deckend und entschie­den fallen die Reaktionen der Muslime aus, die in sehr deutlichen Worten die Verbrechen verurteilen, die der „I.S.“ im Namen ihrer Religion verübt: von der hoch angesehenen Al-Azhar-Universität in Kairo über den Großmufti von Saudi-Arabien, politische Organisationen wie der Arabischen Liga, dem Golf-Kooperationsrat oder der weltweiten Organisation für Islamische Zusammenarbeit, bis hin zu regionalen und lokalen Repräsen­tan­ten wie führenden Imamen in Großbritannien, der Türki­schen Kultur­gemeinde in Österreich, dem Zentralrat der Muslime in Deutschland oder den Münchner Imamen, die im September 2014 die „Deklaration der Imame“ herausgegeben haben (www.islam-muenchen.de/?s=deklaration), und solchen, die überall auf der Welt in den Moscheen dagegen anpredigen. Die Medien erach­ten diese globalen Reaktionen aber offenbar für wesentlich weniger berichtens­wert, als die von den Terroristen selbst angemaßte Verlinkung ihres Wütens mit dem Islam.

Auf globaler Ebene scheint Religion als vermeintliche Quelle für Hass und Gewalt derzeit überhaupt an Konjunktur zuzulegen. In Israel zündeten Brandstifter im Juni die Kirche der Brotvermehrung am See Genezaret an und hinterließen an der Wand das Zitat „und dass die Götzen ausgemerzt werden“ aus dem Alenu-Leshabeach-Gebet, das fromme Juden dreimal täglich beten. Als wäre dies nur ein Fanal gewesen, brannte wenige Wochen später das Haus der palästinensischen Familie Daoubasah im Dorf Douma südöstlich von Nablus. Der eineinhalbjährige Ali konnte nicht gerettet werden; inzwischen erlag auch sein Vater seinen Verletzungen. Diesmal stand das Wort „Rache“ – eine Lieblingsparole von Terroristen aller Länder und Religionen – in Hebräisch an der Wand, und daneben: „Es lebe der König Messias“. Anfang August wurde in Zusammenhang mit der Terrorwelle der 24-jährige Meir Ettinger verhaftet, ein Enkel des 1990 ermordeten, rechts­extre­misti­schen Rabbiners Meir Kahane.

Nur einen Tag vor dem verheerenden Brandanschlag stach der ultra­orthodoxe Wieder­holungstäter Yishai Schlissel während einer Parade von Lesben und Schwulen in Jerusalem mit einem Messer auf die Teilnehmenden ein, verletzte sechs Men­schen, von denen die sechzehnjährige Shira Banki bald darauf starb. Der Täter war erst drei Wochen zuvor nach zehnjähriger Haft entlassen worden, zu der er nach einer ähnlichen Messerattacke auf eine Gay-Pride-Parade 2005 verurteilt worden war.

Dass Homosexuelle mit dem Tod zu bestrafen seien, äußerte wiederum nur wenige Tage nach dem Blutvergießen in Jerusalem aber auch der Schweizer Bischof Vitus Huonder, als er vor konservativen Katholiken in Fulda ein­schlägige Verse aus dem Alten Testament zitierte („Ihr Blut soll auf sie kommen“, Lev 20,13 u. a.). Er hätte, wenn er schon auf jegliche Kontextuali­sierung der Quellen verzichtet, auch beim Neuen Testament bleiben können („Wer so handelt, verdient den Tod“, Röm 1,32). Nach heftigen Reaktionen einschließ­lich einer Anzeige ruderte der Bischof von Chur zurück und erklärte, er habe das so nicht gemeint.

Von derlei Relativierungen ist Erzpriester Wsewolod Tschaplin aus Moskau weit entfernt. Er wettert leidenschaftlich nicht nur gegen Homosexuelle, sondern auch gegen Abtreibung, Atheismus und Kirchenkritik, hält Verge­waltigungen i. d. R. für die eigene Schuld der Opfer aufgrund unzüchtigen Auftretens und preist den Kreationismus, den er anstelle der Evolutionslehre in den Schulen „gelehrt“ haben möchte. Mit all diesen Themen befindet sich der russisch-orthodoxe Kirchenmann in bemerkens­wertem Einklang mit evange­likal-fundamentalistischen Hasspredigern aus USA. Fast sähe das alles ja nach einer „abrahamitischen Schattenökumene“ aus, die „radikal-islamisti­sche“, „radikal-judaistische“ und „radikal-christia­nisti­sche“[1] Propagandisten unter­einander entwickelten, so sehr ähnelt sich ihr Denken und allzu oft auch ihr Handeln. Davon kann aber schon deshalb nicht ernsthaft die Rede sein, weil bei allen die Ablehnung aller anderen Religionen und Konfessionen zum unverzichtbaren Grund­bestand ihres Hasses gehört. Erzpriester Tschaplin ver­teufelt denn auch besonders eifrig die USA sowie „den Westen“, der mit seinen falschen Werten die Welt immer tiefer in die Gottlosigkeit treibe. Doch nicht mehr lange. Gott habe Russland dazu auserwählt, die Weltgeschichte radikal herum­zureißen, und dazu bedürfe es jetzt dringend einer umfassenden „Reinigung“. Eine „allzu lange Friedenszeit“ gehe bald zu Ende. Es klingt unfassbar, doch der christliche Geistliche wird mit Aussagen zitiert wie: „Besser sollte es Krieg geben“ und „Gott sei Dank ist die Zeit des Friedens bald vorüber!“

Mit seiner Demagogie gilt Erzpriester Tschaplin nicht etwa als ein Irrlicht am Rande der Kirche oder der Gesellschaft. Er leitet die öffentlichkeits­wirksame Abteilung für die Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft des Moskauer Patriarchats und verbreitet seine Schwarze Theologie offenbar ungehindert. Kein Geistlicher sei in russischen TV-Sendungen, Radio-Shows oder Zeitungsinterviews ähnlich präsent, behauptet Spiegel Online in einem Beitrag unter dem Titel „Putins Gotteskrieger“. Und: „Sein Wort hat Gewicht, auch im Kreml“ (30.7.2015).

Das könnte zum Kontext einer Meldung zum Krieg in der Ostukraine passen, die die Süddeutsche Zeitung am 26.2.2015 druckte. Illustriert war der Bericht mit einem Bild, das man andernfalls geneigt wäre, für eine geschmacklose Fotomontage zu halten. Separatisten posieren mit ihren automatischen Waffen auf einem Panzer, auf dem sie als Fahne die Darstellung einer Christus-Ikone aufgezogen haben!

Damit schließt sich der Kreis unserer Rundumschau des religiös verbrämten Wahnsinns. Der „Islamische Staat“ inszeniert seinen Gewaltkult regelmäßig vor einer schwarzen Fahne, auf der das islamische Glaubensbekenntnis steht. Möchte man dessen unaussprechliche Barbarei den doch viel zivilisierteren Waffen entge­gen­­halten, mit denen im Osten Europas Menschen getötet werden? Nun, selbst das Köpfeabschneiden ist kein Alleinstellungs­merkmal sog. „islamistischer“ Terroristen. Im Südsudan – einem christlichen Land, das sich vor genau vier Jahren nach jahrzehntelangem, leidvollem Kampf er­folgreich vom muslimischen Norden losge­löst hat, tobt ein Krieg, den Beobachter als noch grauenvoller beschreiben als das, was im Irak und in Syrien geschieht – soweit das überhaupt noch vorstellbar sein kann. Die Süddeutsche Zeitung berichtet zum Jahrestag der Staatsgründung unter dem Titel „Versunken in unaussprechlicher Gewalt“ (5.7.2015) von Vorgängen, die in erster Linie Kinder betreffen, und die ich hier nicht mehr wiedergeben möchte … Eine der an den Massakern beteiligten Kampftruppen ist die aus Uganda operie­rende „Lord’s Resistance Army“, die „Widerstandsarmee des Herrn“, die seit langem für einen „christlichen Gottes­staat“ kämpft. Berichtet wird darüber nur wenig.

Bei all diesen Analogien lässt unser Befund doch einen Unterschied erkennen. Nämlich den, dass – so sieht es aus – nur Muslime einhellig und umfassend den Irrsinn aus eigenen Reihen verurteilen. „Da höre ich zu wenig“, mahnte dennoch Kardinal Marx an Mariä Himmelfahrt 2014 von einer Predigt im Münchner Dom aus die Muslime, sich von Gewalt im Namen Gottes zu distanzieren. Würden wir aber von Bischöfen, ja von den Pfarrern und Priestern in München erwarten, dass sie sich klar und unmissverständlich distanzieren von den Aussagen und den Taten offensichtlich irrsinniger Christen irgendwo auf der Welt? Würden wir von jüdischen Rabbinern und Gemeinden in Deutschland erwarten, dass sie uns erklären, warum der Terror radikaler Juden nicht mit dem Judentum an sich verwechselt werden darf?

Ich meine nicht, dass wir das erwarten sollten. Ich meine, dass wir ganz normale Gläubige jedweder Religion stigmatisieren und beleidigen, wenn wir ihnen a priori unterstellen, dass sie Hass, Gewalt und Terror billigten, solange sie nicht immer wieder öffentlich das Gegenteil kundtun.

[1] Von den drei Bezeichnungen ist nur die erste im Sprachgebrauch üblich. Die hier bewusst gewählten Parallelen mögen aufzeigen, dass die erste Bezeichnung nicht weniger unangebracht ist als die anderen beiden, oder die anderen nicht weniger angebracht wären als die eine.


Zu den Terroranschlägen in Tunesien und andernorts

Am 26. Juni 2015 schoss ein Terrorist nahe der tunesischen Stadt Sousse auf badende Urlauber. Ein anderer Terrorist enthauptete einen Menschen in einer Fabrik bei Lyon/Frankreich. Am selben Tag kamen bei einem Bomben­anschlag in einer Moschee in Kuwait betende Muslime ums Leben. Für das Münchner Forum für Islam hat Imam Benjamin Idriz am 27. Juni 2015 eine Pressemitteilung veröffentlicht, die wir gerne weiter verbreiten möchten:

Eine Serie grauenvoller Terroranschläge in Kuwait, Tunesien und Frankreich erschüttert wieder einmal die ganze Welt – und ganz besonders auch die Herzen der Muslime. Im Fastenmonat Ramadan sind alle Muslime noch mehr als sonst auch verpflichtet, sich fernzuhalten von schlechten Gedanken, von Hass und erst recht von Gewalt.

In der „Deklaration der Imame“ vom September 2014 haben Münchner Imame ausführlich begründet, dass das, was im Namen des Islam begangen wird, niemals mit Islam vereinbar sein kann.

Heute können wir nur noch beten zu Gott, dem Erbarmer und Barmherzigen, dass er denen, die Islam nicht verstehen, die Herzen öffnet zum Guten, ihr Denken und Tun auf die Wege der Vernunft leitet – und ihnen, wenn es sonst niemand tut, die Waffen aus der Hand nimmt.


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Die gute Nachricht – gute Nachrichten

Auszeichnung für die Münchner „Friedenskette der Religionen“

Die Aktion „Friedenskette der Religionen“ am 2.2.2015 – die von den Freunden Abrahams begleitet wurde, an der viele von unseren Lesern sicherlich auch teilgenommen haben – wurde von der World Interfaith Harmony Week mit einem 2. Preis ausgezeichnet. Diese Organisation würdigt interreligiöse Friedensaktionen, die weltweit während der ersten Februar-Woche abgehalten werden. Die Initiatorinnen der Friedenskette, Dr. Beatrix Jakubicka-Frühwald und Gisela Jahn, erhielten die Auszeichnung bei einer Zeremonie in der jordanischen Hauptstadt Amman aus der Hand von König Abdullah II. Wir gratulieren!
(http://worldinterfaithharmonyweek.com)

Wo ein Wille ist …:
Synagogen in London laden Muslime zum Fastenbrechen ein

Wie www.jewishnews.co.uk berichtete, wurden im islamischen Fastenmonat Ramadan in zwei reformjüdischen Synagogengemeinden in London Iftar-Abende veranstaltet. Muslime aus der jeweiligen Umgebung waren einge­laden, das Fastenbrechen gemeinsam mit ihren jüdischen Nachbarn zu begehen (26.6.2015).

Willkommen!

Als in Erlangen eine Gruppe von Flüchtlingen einen Linienbus bestieg, entschloss sich der Busfahrer Sven Latteyer spontan zu einer kleinen Geste. Er verkündete in Englisch und Deutsch durchs Mikrophon: „Ich habe eine wichtige Nachricht für alle Menschen aus der ganzen Welt in diesem Bus: Willkommen! Willkommen in Deutschland, willkommen in meinem Land!“ ZDF-Moderator Claus Kleber, der die kleine Begebenheit am Ende der Sendung vom 12.8.2015 sichtlich gerührt übermittelte, ergänzte treffend: „Es kann manchmal so einfach sein.“
(Quelle: Heute-Journal und Focus Online)

Radikal mutig

Rupert Neudeck (Kurator der Freunde Abrahams) erhielt für seinen mutigen Einsatz in Krisengebieten der Welt 2015 den „Bürgerpreis der deutschen Zeitungen“, dotiert mit 20.000 €, die sogleich an Menschen in Not gingen. Wir sind mit ihm froh über diese Anerkennung.
(http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/portraet/radikal-mutig-article1577197.html)

Pflichtfach „Holocaust“

Die Katholische Pétér-Pázmány-Universität in Ungarn führt ein Pflichtfach „Holocaust und Erinnerung“ ein. Alle Studenten sämtlicher Fakultäten müssen das Fach belegen. Ziel ist eine „gesunde Auffassung der Problematik in Ungarn“.
(SZ 25.6.2015)

Neue Synagoge in Cottbus

Das Bundesland Brandenburg hat erstmals nach dem Holocaust wieder eine Synagoge. Sie entstand aus der früheren evangelischen Schlosskirche. Die Kirchen­gemeinde St. Nikolai hat das Gebäude an die Jüdische Gemeinde Cottbus verkauft.
(Quelle: Publik Forum 3/2015)

Islamische Schnitzkunst krönt Papstmesse

Anlässlich seines Besuchs in Bosnien-Herzegowina hielt Papst Franziskus am 6. Juni 2015 in Sarajewo eine Messe, an der 65.000 Menschen teilnahmen. Die Eucharistie­feier am 20. Jahrestag des Massakers in Srebrenica stand im Zeichen des Dialogs und der Versöhnung. Als ein Symbol hierfür kann auch der prächtige geschnitzte Stuhl gelten, auf dem der Papst Platz nahm.

Nachdem die geplante Reise bekannt geworden war, beschlossen der muslimische Kunstschreiner Salem Hajdarevac aus der bosnischen Stadt Zavidovići und der örtliche katholische Pfarrer, Miro Beslic, dem Papst ein Sitzmöbel für die Messe zu schenken. Der Pfarrer sammelte in seiner Gemeinde Geld für das kostbare Walnussholz. Hajdarevac investierte „all seine Liebe und Zeit“, um gemeinsam mit seinem Sohn Edin den Stuhl anzufertigen, der in aufwändiger Relieftechnik mit dem Wappen des Papstes, der Kathedrale von Sarajewo und der Pfarrkirche von Zavidovići verziert ist.

Das internationale Medienecho, das die Geschichte hervorrief, kommentierte Pfarrer Beslic: „Mich wundert, dass sich so viele darüber wundern.“


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BUCHTIPPS / VERANSTALTUNGSTIPP

Karl-Josef Kuschel: Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum

Mehr als andere Denker des 20. Jahrhunderts hat Martin Buber den „Dialog“ geübt und theoretisch durchdacht. Bei allen Anregungen von außen dachte und glaubte er bewusst nur aus den Quellen des Judentums heraus. Überblickt man Bubers ganze Geschichte, erlebt man einen Mann, der sich entschieden abzugrenzen versteht von christlichen Bekenntnissen und deutsch-christlichen Zumutungen. Karl-Josef Kuschel (Institut für ökumenische und interreligiöse Forschung der Universität Tübingen und Mitglied im Kuratorium der Freunde Abrahams) stellt den Kämpfer Buber vor, der für seine eigen­ständige jüdische Identität streitet und gerade dadurch für Christen ein bleibend interessanter, aber auch unbequemer Gesprächspartner ist.

Gütersloher Verlagshaus 2015, 363 S., ISBN 978-3-579-07086-5, 24,99 €

 

Stefan Jakob Wimmer: Von Sulzbach bis Tel Aviv – מזולצבאך עד תל אביב

mit einem Beitrag von Michael Brenner und unter Mithilfe von Rabbiner Steven Langnas, hebr. Übersetzung von Eitan Levi

Aus Anlass des fünfzigjährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehun­gen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel präsentierte die Bayerische Staatsbibliothek vom 15. Mai bis 10. Juli 2015 eine Auswahl von Neuer­wer­bungen ihrer Hebraica-Sammlung seit 1965. Deren vielfältiges Spektrum setzt bei Handschriften u. a. aus Syrien, Italien, Schwaben und China an. Für alte Drucke war der kleine Ort Sulzbach in der Oberpfalz ein europaweit bekannter Markenname. Viele Publikationen in jiddischer Sprache entstanden in jüdischen DP-Lagern der Nachkriegszeit. Das vitale literarische Schaffen Israels spannt den Bogen bis in die digitale Zukunft. Das zweisprachige Katalogbuch von Stefan Jakob Wimmer, der als Fachreferent für Hebraica an der BSB die Ausstellung kuratiert hat, doku­men­tiert sämtliche Exponate und führt anschaulich in die Themenbereiche Hebräische Handschriften, Alte Drucke, DP-Publikationen und Literatur aus dem Staat Israel ein.

Bayerische Staatsbibliothek, Kleine Ausstellungsführer Neue Reihe 2, deutsch und hebräisch, 63 u. 45 S., zahlr. Illustrationen, ISBN 978-3-88008-009-6, 12,00 €

 

„München und der Nationalsozialismus“

Wissen Sie noch, wo in München das „Braune Haus“, die Parteizentrale der NSDAP stand? Das (neue) Gebäude in der Brienner Straße 34 beherbergt seit kurzem das NS-Dokumentationszentrum. Präsentiert wird die Aufarbeitung des Nationalsozialis­mus von seinen Anfängen im zeitlichen Umfeld des 1. Weltkriegs bis zu seinen Nach­wir­kungen in der Gegenwart, auf vier Etagen mit Zeittafeln und Dokumenten. Zu viel eigentlich für nur einen Besuch. Aber wenigstens diesen sollte man nicht versäumen. Auch einen umfangreichen Katalog gibt es, für 28 €.

 


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Aus der Enzyklika Laudato si‘ von Papst Franziskus

Christliches Gebet mit der Schöpfung

Wir preisen dich, Vater, mit allen Geschöpfen,
die aus deiner machtvollen Hand hervorgegangen sind.
Dein sind sie und erfüllt von deiner Gegenwart und Zärtlichkeit.
Gelobt seist du.

Sohn Gottes, Jesus,
durch dich wurde alles erschaffen.
In Marias Mutterschoß nahmst du menschliche Gestalt an;
du wurdest Teil dieser Erde und sahst diese Welt mit menschlichen Augen.
Jetzt lebst du in jedem Geschöpf mit deiner Herrlichkeit als Auferstandener.
Gelobt seist du.

Heiliger Geist, mit deinem Licht
wendest du diese Welt der Liebe des Vaters zu
und begleitest die Wehklage der Schöpfung;
du lebst auch in unseren Herzen, um uns zum Guten anzutreiben.
Gelobt seist du.

O Gott, dreifaltig Einer,
du kostbare Gemeinschaft unendlicher Liebe,
lehre uns, dich zu betrachten in der Schönheit des Universums, wo uns alles von dir spricht.
Erwecke unseren Lobpreis und unseren Dank für jedes Wesen, das du erschaffen hast.
Schenke uns die Gnade, uns innig vereint zu fühlen mit allem, was ist.

Gott der Liebe,
zeige uns unseren Platz in dieser Welt
als Werkzeuge deiner Liebe zu allen Wesen dieser Erde,
denn keines von ihnen wird von dir vergessen.
Erleuchte, die Macht und Reichtum besitzen,
damit sie sich hüten vor der Sünde der Gleichgültigkeit,
das Gemeinwohl lieben, die Schwachen fördern
und für diese Welt sorgen, die wir bewohnen.
Die Armen und die Erde flehen,
Herr, ergreife uns mit deiner Macht und deinem Licht,
um alles Leben zu schützen, um eine bessere Zukunft vorzubereiten,
damit dein Reich komme,
das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens, der Liebe und der Schönheit.
Gelobt seist du.
Amen.

Gebet für unsere Erde – „das wir mit allen teilen können, die an einen Gott glauben, der allmächtiger Schöpfer ist“

Allmächtiger Gott,
der du in der Weite des Alls gegenwärtig bist
und im kleinsten deiner Geschöpfe,
der du alles, was existiert,
mit deiner Zärtlichkeit umschließt,
gieße uns die Kraft deiner Liebe ein,
damit wir das Leben und die Schönheit hüten.
Überflute uns mit Frieden,
damit wir als Brüder und Schwestern leben
und niemandem schaden.
Gott der Armen,
hilf uns,
die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde,
die so wertvoll sind in deinen Augen,
zu retten.
Heile unser Leben,
damit wir Beschützer der Welt sind
und nicht Räuber,
damit wir Schönheit säen
und nicht Verseuchung und Zerstörung.
Rühre die Herzen derer an,
die nur Gewinn suchen
auf Kosten der Armen und der Erde.
Lehre uns,
den Wert von allen Dingen zu entdecken
und voll Bewunderung zu betrachten;
zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind
mit allen Geschöpfen
auf unserem Weg zu deinem unendlichen Licht.
Danke, dass du alle Tage bei uns bist.
Ermutige uns bitte in unserem Kampf
für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.


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