Abrahams Post 25

EDITORIAL: Neue Grenzziehungen

„Islamischen Staat“ nennen sie ihr neues Terror-Reich und ihren Anführer „Kalif Ibrahim“. Ein Anti-Abraham, der darum bemüht ist, die Vielzahl und Vielfalt der Religionen und ihrer Anhänger radikal zu dezimieren, mit Messern und Schwertern wie mit hoch technisierten Waffen. Keine Grenzen erkenne ihr Machtbereich mehr an, erklären seine Internet-bewanderten Gesinnungs­psycho­pathen, sondern nur noch Fronten.

Eine neue, düstere Dimension der Wirklichkeit macht sich im Orient breit, und in Jerusalem und Gaza haben die Akteure nichts Überzeugenderes zu bieten, als die Wiederholung der Wiederholung ihres menschenverachtenden und –ver­nich­­ten­den Trauerspiels in – wie es scheint – unendlich vielen Akten. Solange die Grenzen der Parteinahme dabei weiter zwischen Israelis/Juden da und Palästinensern/ Arabern/­Mus­li­men dort gezogen werden, solange aus einer Richtung zwang­haft apolo­getisch verteidigt und verharmlost wird, wie eine Regierung, in der Rechts­popu­listen und –extremisten den Ton angeben, die Zukunft des eigenen, jüdischen Staates immer mehr verfinstert, solange von der anderen Seite ein sogenannter Widerstand unterstützt und gefeiert wird, der das eigene Volk immer tiefer in den fort­gesetzten Genozid, in einen Völker­­selbstmord, ver­strickt, solange führt kein Weg aus der Spirale der Selbst­ver­kennung und Verach­tung der anderen und Verweigerung der Wirk­lichkeit.

Wenn wir stattdessen über­einkämen, die Grenzen zwischen denen zu ziehen, die – unabhängig von Ethnie und Religion – Konflikte beizulegen bemüht sind, indem sie Schwächen und Fehler auch der eigenen Seite benennen und für Rechte und Würde auch der anderen eintreten, und denen, die alle Mittel für die eigenen Zwecke heiligen und alle Schuld bei anderen suchen, wenn wir Grenzen nicht mehr automatisch definieren zwischen Juden und Arabern, Muslimen und Nicht-Muslimen, Religiösen und Atheisten, Linken und Rechten, dann würden nicht mehr Wahnsinn gegen Unvernunft oder Opfer gegen Opfer kämpfen, sondern dann könnte unser Ja ein Ja sein und unser Nein ein Nein.
Stefan J. Wimmer


Zurück zur Auswahl


Standpunkt – Mitgliederversammlung 2014

Wo stehen wir und wo wollen wir hin?

Positionsbestimmung von Stefan Jakob Wimmer zur Mitglieder­versammlung der Freunde Abrahams am 18.3.2014 (gekürzte Fassung)

Den Anstoß zur Umsetzung der Gründung einer Gesellschaft mit Namen FREUNDE ABRAHAMS gab der 11. September 2001. Der Gedanke war damals aber schon länger im Raum gestanden, hatte sich zwischen Prof. Görg und mir konkretisiert und ging dahin, die Erkenntnisse religionsge­schicht­licher Forschungs­arbeit über den akademischen Rahmen hinaus einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Beide Impulse treffen sich da, wo es gelingt, das, was aus dem Alten Orient, aus Ägypten und Kanaan im Sinne eines tragfähigen Verstehens und Zusam­men­wirkens der Religionen gewon­nen werden kann, auf das Hier und Heute anzuwenden.

Laut Satzung ist der Zweck des Vereins „die Förderung von Wissenschaft und Forschung. Dabei steht die interreligiöse Verständigung insbesondere zwi­schen Judentum, Christentum und Islam, auf wissenschaftlicher Grundlage, im Vorder­grund …“ (§ 2). Das Wesen der FREUNDE ABRAHAMS umspannt diese beiden Komponenten, die im (2013 eingeführten) Namenszusatz angesprochen werden:

Gesellschaft für religionsgeschichtliche Forschung und interreligiösen Dialog.

Zwei Pfeiler

Religionsgeschichtliche Forschung ist für sich allein, als Wissenschaft, gut begründet, richtig und wichtig. Als solche findet sie aber an den Universitäten und Akademien ihren Platz. Den FREUNDEN ABRAHAMS ist Wissenschaft um ihrer selbst willen nicht genug! Bei uns geht es um den Brückenschlag, der die Erkenntnisse historischer Wissenschaft auf das aktuelle Zusammenleben über­trägt.

Begegnung und Austausch sind unverzichtbar, werden immer wichtiger und müssen überall gefördert werden. Es gibt dazu glücklicherweise eine wach­sende Anzahl von Initiativen und Gruppierungen (aktuell ist etwa ein „Münchner Lehrhaus der Religionen“ in Planung). Die FREUNDE ABRAHAMS wollen hier nicht lediglich die Zahl der Veranstaltungsangebote erhöhen. Unser „Alleinstellungs­merkmal“ besteht in der Erdung des aktuellen Ge­sprächs in der Religions­geschichte. „Wissenschaftliche Gesellschaft“ meint hier nichts Elitäres, sondern Substantielles.

Die wissenschaftliche Ebene bringen wir über unsere Zeitschrift zum Ausdruck („Blätter Abrahams. Beiträge zum interreligiösen Dialog“), in der ich ein ganz essentielles Element unserer „Daseinsberechtigung“ sehen möchte. Aktuell kommt die Herausgabe einer Gedenkschrift für Manfred Görg hinzu, ein stattliches Werk mit rund 70 Beiträgen angesehener Wissenschaftler, das im Auftrag der FREUNDE ABAHAMS im Herbst erscheinen soll. Das Vermächtnis von Prof. Görg bleibt unsere Verpflichtung und eine zentrale Säule unseres Potenzials. Wir haben heraus­ragende Wissenschaftler in unserem Kuratorium. Wir engagieren uns in laufenden Forschungsprojekten (wie in der Vergangen­heit z. B. in dem viel beachteten „Philisterprojekt“, aktuell in der Erforschung der aramäischen Papyri von der Nilinsel Elefantine).

Das aktuelle Geschehen greifen zahlreiche unserer Veranstaltungen auf. Zur Dokumentation und Information dient unser (nicht nur Programm-)Heft „Abrahams Post“. Begegnungen finden z. B. im Rahmen unserer Religions­besuche (letztens: Besuch bei den Sikhs), bei Ausflügen und Reisen statt. Sehr wichtig sind die Ko­ope­rationen mit anderen Institutionen: Nymphenburger Gespräche, Evangelische Stadtakademie, IDIZEM, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Münchner Forum für Islam, Chaverim, Münchner Bildungswerk, Münchner Bünd­nis für Toleranz u.a.

Auf diese zwei Pfeiler gestützt, spannen wir Brücken.
Brückenbauen ist unser Potenzial!

Was wollen wir? Was können wir?

Das Potenzial für unser Anliegen geht in einer Millionenstadt wie München (und die FREUNDE ABRAHAMS sind ja auch darüber hinaus vertreten) zwei­fel­los erheblich über unseren Mitgliederstamm hinaus, der sich seit Jahren konstant zwischen 200 und 250 hält. Das Vermächtnis von Prof. Görg bietet Inhalte von weitreichender Relevanz für unsere Gesellschaft. Dem steht ge­gen­über, dass unsere Veranstaltungen teilweise nur von einem überschau­baren Kreis vertrauter Gesichter wahrgenommen werden. Freilich muss es in unserem Interesse liegen, unseren Bekanntheitsgrad zu erhöhen, mehr (und vor allem auch mehr jüngere) Mitglieder zu gewinnen.

Wenn wir auf das Spektrum, die Zahl und die Inhalte unserer Aktivitäten blic­ken, auf Veranstaltungen, Vorträge, Reisen, Tagesausflüge und Publikationen, dann denke ich nicht, dass wir uns verstecken müssten. Das, was wir bisher auf die Beine gestellt haben, kann sich sehen lassen! Ich würde bei aller Selbstbeschei­den­heit behaupten, dass einiges davon als richtig erstklassig gelten darf. Wenn das, was wir tun, im Wesentlichen gut und richtig ist, dann sind wir auf einem guten und richtigen Weg. Wir müssen nicht verbissen an Expansion und Wachstum denken, auch wenn die Dominanz wirtschaftlichen Denkens in unserer Gesellschaft dies ständig und überall suggerieren möchte. Wir sind auch keine politische Partei, die darauf aus sein muss, mehr Einfluss zu gewinnen mit dem Ziel, letztendlich Anteil an der Macht zu erringen. Wir müs­sen nicht schneller werden, höher greifen, weiter kommen. Bei allem Ehrgeiz, das, was wir tun, zu verbessern: Wir dürfen zufrieden sein mit dem, was wir sind und was wir tun.

Die Zahl unserer Mitglieder ist nach dem Tod von Prof. Görg konstant geblieben. Einige betagtere Mitglieder haben sich zum Austritt entschlossen, und dazu mit Bedauern mitgeteilt, dass sie sich aus gesundheitlichen Grün­den immer schwerer tun, am Veranstaltungsprogramm teilzunehmen. Es ge­lingt aber, weiterhin neue Mitglieder zu gewinnen, sodass inzwischen auch eine „Generation nach Görg“ entsteht: Mitglieder der FREUNDE ABRAHAMS also, die Prof. Görg nicht mehr persönlich begegnet sind.

Ein großer Teil unserer Mitglieder rekrutiert sich aus den Vorlesungen, die Prof. Görg für das Seniorenstudium gehalten hat. Jüngere Mitglieder sind bei uns in der Minderheit.

Ich sehe auch darin keinen Missstand, der unbedingt und schnellstens über­wunden werden müsste! Jüngere Leute tendieren heute sehr viel mehr zu sog. Social Media im Internet – und das ist durchaus ein Bereich, auf dem auch wir noch Fuß fassen müssen. Einem Verein beizutreten, sich mit Mitglieds­antrag zu verpflichten und dafür Jahresbeiträge zu entrichten, wird weniger üblich. Hinzu kommt, dass die Jahre des Studiums, das Eingebundensein in Berufstätigkeit, in Familie, sehr viel weniger Freiräume zulässt, als Senioren aufbringen können. Senioren haben aber nicht nur mehr Zeit (auch wenn sie selbst das i.d.R. bestreiten). Senioren haben sich ein Leben lang die Grundlage erworben, sich seriös für das zu interessieren, was wir vermitteln, die Substanz, die sie für uns interessant macht und von der wir als FREUNDE ARAHAMS profitieren!

Senioren wachsen ja auch nach (wie die, die es noch nicht sind oder noch nicht sein wollen, am eigenen Leib zunehmend merken), und solange es uns ge­lingt, weiterhin neue InteressentInnen anzusprechen, sehe ich in einem hohen Alters­durch­schnitt keinen Nachteil. Im Gegenteil: Wenn wir ein hohes Potenzial für Senio­ren bieten, ist auch das ein Qualitätsmerkmal.

Unverzichtbar bleibt natürlich bei aller Zufriedenheit, dass wir finanziell in der Lage bleiben, das, was wir tun wollen, zu stemmen. Hier sind wir über die Mit­gliederbeiträge hinaus immer auch auf Spenden angewiesen und bitten da­rum, gerne auch konkrete Veranstaltungen oder Publikationen gezielt zu unter­stützen, sowie die Augen nach möglichen Kontakten zu Sponsoren auf­zuhalten.

Fazit

Alles in allem bin ich heute dankbar dafür, dass wir gut dastehen, und opti­mistisch, dass wir gut vorankommen. Der Manfred-Görg-Preis (eine Anre­gung aus dem Kuratorium) kann uns zu neuer Aufmerksamkeit verhelfen. Koope­ra­tio­­nen mit anderen Institutionen, die uns Ressourcen sparen helfen und gleich­­zeitig zu mehr Öffentlichkeit verhelfen, bestehen und wachsen weiter (aktuell eröffnet sich mit dem neuen Ägyptischen Museum eine weitere viel­ver­sprechende Schiene). Meine berufliche Position an der Bayerischen Staats­bibliothek hat unseren Wirkungskreis erweitert. Neue wissenschaftliche Pro­jekte stehen an. Wir haben ein eigenes Profil, sind aber keine Einzel­kämpfer, sondern gut vernetzt, auch über München hinaus, und haben gute Verbin­dungen zu Medien aufgebaut. Wie sollte ich mich nicht auf das laufende und die bevorstehenden Jahre freuen, wenn wir jetzt wieder ein starkes und harmonisches Team im Vorstand bilden?

Der neue Vorstand und die neuen Beiträge

von Brigitte Hutt

Die Umbrüche, die mit dem Tod von Prof. Görg begonnen haben (zeitlich, nicht ursächlich) sind noch nicht beendet. So mussten wir erneut Vorstandsposten besetzen, da unsere langjährige Schriftführerin Helga König und ihre Tochter Eva König aus familiären und Überlastungsgründen nicht weiter für die Freunde Abrahams tätig sein können. Aber wie im Sand am Meeresufer ist es auch oft im Leben: eine Vakanz füllt sich mit fließenden, vitalen Kräften auf. So vermelden wir als neuen Schriftführer Dr. Manfred Hutt, bisher Vorstandsmitglied ohne besonde­ren Posten, aber unverzichtbar beim Organisieren von Fahrten, Veranstaltungen und Versandmaßnahmen. Im erweiterten Vorstand begrüßen wir die Damen Enisa Bilalovic, Entspannungstherapeutin, die sich besonders dem Kontakt mit der Jugend widmen möchte, und Yvonne Baur-Saleh, Dozentin für Deutsch als Zweitsprache und so gut vernetzt, dass sie schon jetzt unverzichtbar bei allen Planungen ist.

Den neuen wie den ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern danken wir von Herzen und wünschen ihnen alles Gute! Und wir freuen uns auf weitere zwar arbeits- aber sicher auch ertragreiche Jahre.

Aufgrund der schon weiter oben von Dr. Wimmer angesprochenen ständig notwendigen Kontrolle unserer Finanzmittel und der unausweichlichen Kosten unserer Veranstaltungen und Publikationen hat die Mitgliederversammlung auch beschlossen, die Beiträge ab 2015 moderat anzupassen. So ist nun der normale Mitgliedsbeitrag auf 45 € und der ermäßigte auf 25 € erhöht worden. Wir erhoffen uns davon mehr Spielraum zur Verwirklichung unserer Pläne. Unsere Mitglieder werden über die neuen Einzugs­moda­litäten (SEPA) separat in Kenntnis gesetzt.


Zurück zur Auswahl


Berichte zu Veranstaltungen

„Dein Name soll hochgepriesen sein!“

Impressionen von einem Gottesdienst der Sikhs am 6. April 2014 von Yvonne Baur-Saleh

Vom grauen Treppenhaus eines in die Jahre gekommenen Bürohauses in der Machtlfingerstraße führt ein schmaler Flur in einen lichtdurchfluteten Saal mit sonnengelben Wänden. Ein großes Podest, überdacht von einem Baldachin und bedeckt mit einem prächtigen blauen Tuch, dominiert den Raum. Ein silberner Spendenkasten sowie pinkfarbene und gelbe Blumen komplettieren das freundliche Ambiente des indischen Sakralraums.

20 Freundinnen und Freunde Abrahams besuchen im Rahmen der Reihe „Jeder nach seiner Façon“ unter Leitung von Dr. Stefan Jakob Wimmer einen Gurdwara, ein „Tor zum Guru“, wie die Sikhs ihre Gebetsstätten bezeichnen. Der Sikhismus ist eine monotheistische Buchreligion, die im nordindischen Pandschab in einem von Hinduismus und Islam geprägten Umfeld entstand. Der Mitte des 15. Jahrhunderts geborene Wanderprediger Guru Nanak und auf ihn folgende spirituelle Meister ver­fass­ten fast 6000 poetische Hymnen zum Lobpreis des Schöpfers und Weis­heiten zu einer guten Lebensführung, die sie mit Texten von Bhakti-Anhängern und Sufis schrittweise zu einer Anthologie, in der Endredaktion Guru Granth Sahib genannt, zusammenfassten. Darin werden die Verehrung von Statuen und Riten wie Fasten oder Pilgerfahrt abgelehnt. Das Buch hatte bereits zu Lebzeiten der Gurus die Guruwürde inne, doch der zehnte Meister verfügte, dass es nach seinem Tod der einzige Guru sein sollte.

Dr. Wimmer hatte uns vor dem Betreten des Gurdwara auf die Besonderheit des Bürohauses hingewiesen, in dem neben den Sikhs mehrere muslimische Gemein­den sowie eine Freikirche ihren Platz haben und zitierte einen Herrn der Sikh-Gemeinde, der im Vorgespräch angesichts dieser religiösen Vielfalt sagte: „Wir tun alle das Gleiche, nur auf verschiedene Art.“

Pandschab bedeutet im Übrigen „5 Flüsse“, und schon seit längerem sind Sikhs auch an der Isar zuhause. Menschen aller Glaubensrichtungen sind zu ihren Gottesdiensten willkommen. Es wird jedoch Wert darauf gelegt, dass man Hände und Füße reinigt, Männer wie Frauen den Kopf bedecken und dass keine persön­lichen Angelegenheiten im Gebetsraum ausgetragen werden. Alkohol und Nikotin darf man nicht bei sich haben, da der Sikhismus beides grundsätzlich verbietet. Zu jedem Gottesdienst gehört es, für alle Teilnehmer zu kochen, und so werden wir mit einer köstlichen vegetarischen Mahlzeit aus Linsen und Gemüseteigtaschen begrüßt.

Nach und nach strömen die Mitglieder der Gemeinde herein, halten vor dem Podest kurz inne, auf dem der Guru Granth Sahib unter der blauen Decke verbor­gen ist, formen die Hände zur indischen Grußgeste und verneigen sich respektvoll, bevor sie sich gemeinsam mit uns auf die Männer- bzw. Frauenseite setzen.

Karah Parshad wird verteilt, eine gesegnete Speise aus Mehl, geklärter Butter und Zucker. Ihre Süße weckt die Sinne für die melodischen Verse, die der Leiter des Gottes­dienstes an einem Stehpult rezitiert und sich dabei mit einem Tischharmo­nium begleitet.

Dann setzt er sich zu einem Trommler, und die Gemeinde stimmt in die mantra­artigen Hymnen zum Lob Gottes ein. Ein paar helle Kinderstimmen sind herauszu­hören, einige Frauen wiegen sich sacht im Rhythmus der Trommel. Mein Bedau­ern, kein Pandschabi zu verstehen, weicht der Überraschung, wie die unterschied­lichen Stimmungen der Ragas die Seele in Dankbarkeit, Sehnsucht und schließlich in eine heitere Gelassenheit versetzen, eine Haltung, welche die Menschen hier spürbar prägt. „Diejenigen, die Gott begegnen wollen, können Ihn in den Hymnen finden“, lese ich später in einem Gebet der Sikhs.

Als sich der Prediger nach einer Exegese auf dem Podest niederlässt und das Tuch bedächtig zurückschlägt, sodass der Guru Granth sichtbar wird, erheben sich die Gemeindemitglieder und sprechen die Ardas, ein Bittgebet, in dem es heißt: „Wahrer Schöpfer, Waheguru, wir haben Deine Loblieder gesungen. Dein Name soll für immer hoch gepriesen sein. Mögen alle Lebewesen durch Deine Gnade Seelenfrieden finden.“

Ein nach dem Zufallsprinzip aufgeschlagener Vers wird als Inspiration für den Tag verlesen, und auch wenn er mir verschlossen bleibt, nehme ich beim Hinausgehen in das triste Treppenhaus auch etwas mit für meinen Tag: Die heitere Gelassenheit der Münchner Sikhs.


Ahmad Milad Karimi: Osama bin Laden schläft bei den Fischen. Warum ich gerne Muslim bin und was Marlon Brando damit zu tun hat.

Ein Dank an den Autor von Yvonne Baur-Saleh

Der Philosoph, Dichter und Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi las am 2. Juni 2014 in der Evangelischen Stadtakademie aus seinem Buch „Osama bin Laden schläft bei den Fischen“. Dieser ungewöhnliche Titel erschließt sich Fans von Mafiafilmen wohl von selbst, wer andere Genres bevorzugt, durfte gespannt sein.

Zunächst nahm der Autor seine Zuhörer mit in seine Heimatstadt Kabul. Geboren wurde er in dem Jahr, als die Sowjetarmee in Afghanistan einmar­schierte, und er wuchs in den Wirren des Bürgerkriegs auf. Bevor er morgens zur Schule rannte, war jeder Abschied von den Eltern wie der letzte, man wusste ja nicht, ob man sich wiedersieht. „In Kabul atmete der Krieg.“ Und doch vermochte der kleine Milad in der Moschee für sich die Welt anzuhalten: „Wenn ich den Koran vortrug, herrschte Frieden.“ Als Ergänzung intonierte Karimi vor dem Publikum leise und zärtlich einen Vers aus dem heiligen Buch. Mehr als jede Erklärung vermittelte dieser berührende Augenblick, warum er, wie er im Untertitel seines Buchs bekennt, „gerne Muslim“ ist.

Ist der Junge, der in der Moschee den Koran rezitierte, während draußen Explo­sionen dröhnten, nicht ein Seelenverwandter des Vedran Smajlović, der inmitten der Ruinen des belagerten Sarajewo Cello spielte?

Milad ist dreizehn, als er mit den Eltern und der jüngeren Schwester fliehen muss, da die Mudschaheddin immer repressiver werden. Die Mutter gibt ihre zahnärzt­liche Privatpraxis auf und der Vater seinen Posten als Direktor der deutschen Schule. Über Indien und dann Moskau, wo sie lange festsitzen, da die Schleuser sich als Betrüger erweisen, erreichen sie nach einer zwei Jahre dauernden Flucht schließlich Deutschland. Wie alle Neuankömmlinge in dem Darmstädter Contai­ner­lager fühlen sie sich „als Helden“, aber die Euphorie weicht bald Ernüchterung angesichts der Mühlen der Bürokratie.

Da das Heim nur eine Durchgangsstation darstellt, ist für die Kinder kein Schul­besuch vorgesehen, doch „der Streber“, wie Karimi sich schmunzelnd nennt, hungert nach Bildung. Rettung naht, als Gott ihm kurz vor Weihnachten Engel in Gestalt einer Realschullehrerein mit ihrer Klasse schickt, die das Flüchtlings­heim besuchen. Selig, endlich wieder Schulluft schnuppern zu dürfen, verbringt er den nächsten Tag als Gast in ihrer Klasse. Zwei Jahre später – inzwischen hat er Deutsch gelernt und den Hauptschulabschluss in der Tasche – wird er doch ihr Schüler, die engagierte Lehrerin erkennt seine Begabung und macht es möglich.

Karimis Buch setzt voller Dankbarkeit den großartigen Lehrerpersönlichkeiten ein Denkmal, die ihn über ihre fachliche Qualifikation hinaus durch ihre Menschlich­keit beeindruckt haben. Lesenswert ist die bisweilen tragikomische Schilde­rung seines Wegs zum Abitur, als er etwa seinen Lehrer im Fach Elektrotechnik mit Fragen nach „dem Wesen der Technik“ nervt und folgerichtig Philosophie studiert, bis hin zu seinem Ruf an die Universität Münster, an der er heute Kalām, islami­sche Philosophie und Mystik lehrt. Dankbar können wir ihm wiederum sein, da seine Liebe zur deutschen Sprache ihn dazu führte, mit Rilke im Ohr den Koran poetisch ins Deutsche zu übertragen.

Wieso Marlon Brando? Seit er als Kind im afghanischen Fernsehen die Serie „La Piovra“ gesehen hat, hegt Karimi eine Leidenschaft für Mafiafilme. Wie alle echten Verehrer bestimmter Filme findet auch er für jede Lebenslage Analogien zu den geliebten Werken: Kabul ist ebenso „janusköpfig“ wie Sizilien, grausam und schön zugleich, und die Schlepper in Moskau erhalten Namen bekannter Mafiosi. Dass letztlich jedoch Schönheit die Grausamkeit besiegt, ist ein wiederkehrender Topos bei Karimi: Als kleiner Junge in der Moschee hat er das erfahren, und im Film „Der Pate“ befreit sich Anthony aus den mafiösen Strukturen seiner Familie, indem er Opernsänger wird, denn „Kunst ist die Erlösung aus Machtstrukturen.“

Und Osama bin Laden? „Ich verachte ihn“, schreibt der Autor, „aber er macht etwas mit mir.“ Er wäre nicht Karimi, sähe er keine Parallele zur Mafia. Einen in eine Zeitung eingewickelten Fisch zu erhalten ist eine sizilianische Botschaft, wer „bei den Fischen schläft“, ist laut Mafiajargon tot. Seit „der Westen“ Bin Laden, statt ihm den Prozess zu machen, getötet und ins Meer geworfen hat, schläft er im wahrsten Sinne des Wortes bei den Fischen.

Viele Rezensenten verstehen das Buch als Autobiographie, was Karimi ablehnt, weist es doch über seine persönliche Geschichte hinaus und wirbt um Unterstüt­zung und Wertschätzung für „all die kleinen Milads“, seien sie aus Bosnien oder Somalia. So appellierte er am Ende an das Publikum: „Seien auch Sie alle Engel!“


Ägypten im Koran – Hauptvortrag Sommer 2014

von Brigitte Hutt

Im eindrucksvollen Saal des Museums Ägyptischer Kunst fand, gut besucht, im Juni 2014 der Hauptvortrag von Dr. S. J. Wimmer statt. Er vermittelte Gedanken für Christen, die sich mit dem Koran beschäftigen (wollen), aber auch Gedanken für Muslime, die sich für die Rezeption ihres heiligen Buches interessieren.

Ägypten und die biblischen Motive, die dort ihre Verortung finden, sind ein deutlicher Schnittpunkt zwischen Bibel und Koran. Ägypten ist sogar ein ortsbeschreibender Name, der im Koran in unüblich deutlicher Weise fünf Mal zu finden ist. Josef, Mose und der Pharao, die Mutter Jesu – von diesen Motiven wird in beiden Heiligen Büchern erzählt, wenn auch in leicht abweichenden Darstellun­gen. Die poetische Sprache des Korans, die Schwerpunkte, die darin für diese Geschichten gesetzt werden, die Parallelen, die mitunter hergestellt werden, ergän­zen die biblischen Darstellungen auf ganz wunderbare Weise, das arbeitete Dr. Wimmer deutlich und mit großer Liebe zu allen heiligen Schriften heraus. Der Koran setzt die alttestamentlichen Geschichten in der Regel als bekannt heraus, mehr noch: er verarbeitet zusätzlich uralte Motive, die zu den Traditionen vieler Völker gehören (wie die Verbindungen „heilige Frau“, Baum und Quelle). Zudem beansprucht der Koran – ebenso wie die Bibel! – nicht, eine Historie zu erzählen, sondern in den Geschichten die Aussagen herauszustellen, die Gott, seine Weis­heit und Schönheit zeigen und uns Menschen eine Lehre sein können. Die Verwurzelung des Korans in ägyptischen Traditionen zeigt sich darüber hinaus noch in einigen Textpassagen, die Ähnlichkeiten zu ägyptischen Überlieferungen aufweisen. Als Beispiel sei hier der Vergleich des großen Aton-Hymnus mit zwei Koranzitaten wiedergegeben:

Ihre Zungen sind geschieden
durch die Sprachen
Und ebenso ihr Wesen
Und ihre Hautfarben sind
verschieden
Du unterscheidest die Völker!
Zu Seinen Zeichen gehört …
die Verschiedenheit eurer Sprachen und
eurer Hautfarben.
(Sure Rûm 30:22)Ihr Menschen –
Wir … machten euch zu Völkern und
Stämmen, damit ihr einander kennenlernt!
(Großer Aton-Hymnus) (Sure Hudjurât 49:13)

Ägypten durchzieht den Koran, beeinflusst ihn. Dasselbe tut das Alte Testament, das Heilige Buch der Juden und der Christen. Alle religiösen Überlieferungen können nur Annäherungen an die Wahrheit über Gott sein, und so sollten wir es als eine Kostbarkeit sehen, mehrere, unterschiedliche und doch konvergierende Annäherungen im Schriftschatz der Menschheit zu haben. Für uns rationale moderne Menschen sind der Koran und seine Übertragungen mitunter schwer zugänglich, aber jeder Versuch lohnt sich, das hat dieser Vortrag wieder einmal gezeigt.


Tagesausflug 2014 nach Neufahrn, Bernstorf und Hohenkammer

Nachgedanken – von Brigitte Hutt

Ahmadiyya-Bewegung Neufahrn: Eine Moscheegemeinde, die sich als integrativ für alle Religionen versteht (und dafür Anfeindung seitens anderer Muslime in Kauf nimmt), die die Rolle der Frau in der heutigen realen Mehrheitsgesellschaft aber nicht recht erfasst. – Hohenkammer: arabisch beschriftete Grabsteine in der Mauer eines bayrischen Schlösschens, einer davon auf dem Kopf stehend: Spuren, die dem Vorübergehenden kaum lesbar sind. – Bernstorf: Ein antiker Fundort, der Kulturen verbindet: Ostseebernstein mit griechisch-mykenischen Gravuren, ägypti­sches Gold – und das alles in einer verbrannten Stadt in Bayern. Die Wissen­schaftler rätseln, wie diese Spuren gerade an diesem Ort zueinander gefunden haben.

Spannend, interessant. Und dann zurück in den Alltag. Was bleibt, sind Gedanken wie diese: Was können wir daraus lernen? Was hilft bei der Überwindung all der Krisen und Missverständnisse zwischen Kulturen und Religionen? Integrations­wurzeln und –spuren analysieren, verstehen oder auch nicht? Staunen vor gelungenen Verbindungen, Kopfschütteln vor misslungenen, vor Fehlern und Irrtümern?

Oder schlicht: Das Verbindende dankbar annehmen (der Bernstein hat es nach Bayern geschafft, die Muslime sind unter uns) und zugleich die Wurzeln und Eigenheiten bestehen lassen und als Bereicherungen annehmen, ob wir sie nun analysieren können oder nicht. Über Differenzen diskutieren, aber mit Wert­schätzung. Bernstein kommt aus der Ostsee, aber er wird überall geschätzt. Können wir es mit den Vertretern anderer Kulturen nicht genauso halten?


Zurück zur Auswahl


Aus München und Umgebung

Zusammenkommen um zu beten – aber nicht zusammen beten?

von Stefan Jakob Wimmer

Es war ein schöner und vielleicht einer seiner spontanen Gedanken, als Papst Franziskus während seiner Nahostreise die Präsidenten Israels und der Palästinen­ser, Schimon Peres und Mahmud Abbas, zu einem gemeinsamen Friedensgebet zu sich nach Hause in die Gärten des Vatikan lud. Ein Öl­bäum­chen wurde aufgestellt, und da saßen sie, in einigem Abstand vonein­ander, und hörten, wie Vertreter der Religionen nacheinander Texte lasen und Gebete sprachen. – Der Kustos des Heiligen Landes bemühte sich sogleich klar­zustellen, dass die Religionen nicht zusammen beteten, „sondern zusammen sind, um zu beten“…

(Die SZ berichtete am 10.6.2014)

Unter dem Motto „Syrien und Irak: Beten für den Frieden“ hätten die Freunde Abrahams zusammen mit dem Münchner Forum für Islam gern in diesem Herbst eine Veranstaltung geplant. Weil wir fassungslos verfolgen, wie eine Region, der die Welt unendlich viel verdankt – von ihren Wurzeln im Alten Orient über die Entstehung der Kirche und glanzvolle Epochen islamischer Hochkultur bis zum bunten Mosaik der Religionen und Kulturen bis vor wenigen Jahren – in Leid und Tod versenkt wird, wollten wir wenigstens nicht sprachlos bleiben. Unser Anspruch wäre nicht gewesen, über die Ver­worren­heit der Situation zu urteilen, sondern unser Bewusstsein für das schreck­liche Leid der betroffenen Menschen zu schärfen, Christen und Mus­lime zu einem Manifest für das Leben und gegen die Gewalt zur Sprache zu bringen.

Bei Ge­sprächs­­partnern fanden wir viel Zuspruch und Dankbarkeit, dass jemand das Thema aufgreift. Letztendlich aber gab es von christlicher Seite Bedenken gegen eine gemeinsame spirituelle Veranstaltung mit Muslimen.

Wen überfordern wir, wenn wir zusammen (oder neben- oder vor- oder hin­ter­­­­einander) beten? Doch sicher nicht Gott…


Neues vom Münchner Forum für Islam

von Stefan Jakob Wimmer

Nach mehreren Jahren des Planens und Konzipierens, der Gespräche und Papiere wird die Initiative von Imam Benjamin Idriz (der im Kuratorium der Freunde Abrahams mitwirkt) nun erstmals konkret und im Stadtbild sichtbar: Das Münchner Forum für Islam, MFI (vormals „Zentrum für Islam in Europa – München, ZIE-M), eröffnet im Herbst eine Geschäftsstelle in der Innenstadt. Das kleine Haus in der Hotterstraße 16, neben der traditionsreichen „Hunds­kugel“ gelegen, wird in drei Jahren abgerissen. Bis dahin soll es dem MFI als vorläufige Geschäftsstelle dienen, mit Büros, Vortrags- und Veranstaltungs­räumen. In freiwilliger Arbeit haben sich Vereinsmitglieder und Freunde daran gemacht, das innen und außen stark renovierungsbedürftige Gebäude, das lange als Lager genutzt wurde, in Stand zu setzen. Im Gebetsraum konnten noch im August die ersten Freitagsgebe­te stattfinden.

Für die allgemeine Öffentlichkeit wird der provisorische Sitz des MFI seriöse Informationsmöglichkeiten aus erster Hand bieten. Der Entstehungsprozess des für die kommenden Jahre geplanten MFI-Komplexes aus repräsentativer Moschee, Gemeindezentrum, Akademie und Museum kann dort kontinuier­lich im Dialog mit der Öffentlichkeit begleitet werden. Der scheidende OB Ude hatte kurz vor dem Ende seiner Amtszeit noch dafür gesorgt, dass im Bereich des neu entstehenden „Kreativquartiers“ an der Dachauer Straße ein Grundstück als möglicher Standort dafür von der Stadt ins Auge gefasst wird. Nun muss der Verein die Finanzierung der Grundstückskosten, die bei ca. 10-12 Millionen Euro liegen, nachweisen. Dafür wurde eine Spendenkampagne gestartet, die Muslime, die sich mit den Zielen und Inhalten des MFI identi­fi­zieren, aber darüber hinaus alle, unabhängig von ihrer Religion, um Unter­stützung bittet, die nicht nur eine architektonisch eindrucksvolle Mo­schee, sondern eine Einrichtung verwirklicht sehen möchten, die ein Islam­verständnis in Harmonie mit der Gesellschaft, den Wertevorstellungen und den Tradi­tionen in Europa, Deutschland und München fördern und sichtbar machen soll.

Im Rahmen eines feierlichen Fastenbrechens im Saal des Alten Rathauses am 23.7.2014 sagte Imam Idriz dazu in seiner Rede:

„… Ist es nicht so: Dieser prächtige Saal, in dem wir heute feiern dürfen, erinnert uns mit den vielen Wappen an der Decke und mit diesen Morisken­tänzern ringsherum daran, dass noch nie eine Stadt, ein Land für sich allein gelebt hat. Dass das, was auf der Welt vor sich geht, uns alle angeht. Und daran, dass das, was von uns ausgeht, die Welt verändern kann – zum Guten oder auch zum Schlechten.

Aus diesem prächtigen Saal ist einmal unbeschreiblicher Hass ausgegangen, als mit dem Aufruf zur sogenannten ‚Kristallnacht‘, zur Ausgrenzung und Gewalt gegen Juden, ein Teil der Bevölkerung dieser Stadt und dieses Landes zu Feinden erklärt wurde. Das, was dann folgte, endete damit, dass dieser Saal – wie auch nahezu alles um uns herum – zu Trümmern gemacht wurde.

Heute dürfen wir hier in einem Gott-sei-Dank sicheren Land leben! Und wir sollten uns bewusst machen, dass wir dafür nicht nur dankbar sein dürfen, sondern dass wir alle auch verpflichtet sind, das Unsere dazu beizutragen, dass dieser Friede erhalten bleibt und weiter wächst.

Deshalb arbeiten wir seit mehreren Jahren unermüdlich für unser Projekt.

… Ich kann hier nur an Sie alle appellieren, nicht uns hier an den Wahn­sinnstaten anderer, wo auch immer auf der Welt, zu messen. Nicht uns, und nicht den Islam. Solche verrückten Menschen mit dem Namen Islam, also als ‚Islamisten‘ zu bezeichnen, verletzt jeden friedlichen Muslim, der zum Islam gehört. Das sind doch nicht wir! Wir leiden unter diesen Nachrichten doch nicht weniger, als andere – sondern mehr, weil es unsere Religion ist, die dabei so unbeschreiblich pervertiert wird. So wie wir nicht das Christentum und nicht das Judentum an dem messen wollen und werden, was einzelne, Organisationen oder auch Staaten an Leid verursachen. Meine Aufgabe als Imam muss eine andere sein: Uns laut und deutlich abzuwenden von jenen, die Religion mit Gewalt verwechseln, mit Besserwisserei und Vorherr­schaft. Uns mit allen zu solidarisieren, die unter dem Unfrieden auf der Welt leiden. Zu beten für die notleidenden Palästinenser in Gaza, die, während ich hier spreche, durchmachen, was wohl niemand von uns sich hier überhaupt vorstellen kann. Zu beten für alle Menschen in Syrien und im Irak, dass ihr Leid aufhört – egal welcher Religion sie angehören. Tun wir das – dann haben wir den Ramadan verstanden. …“


25 Jahre Todesmarschdenkmäler

von Stefan Jakob Wimmer

Ihr Weg führt ins Nichts. Leere, ausgemergelte Gestalten. Die Vorderen straucheln schon und fallen gleich, die dahinter gehen zusammengedrängt ohne Sinn und Richtung. Überall entlang der Hauptrouten des „Todes­marsches“ von Ende April 1945 sieht man sie – vom Ausgangspunkt am Konzentrationslager Dachau, heute Gedenkstätte, durch die westlichen Stadtteile Münchens entlang der Würmtal­gemeinden und ins Oberland. Das Denkmal, das der Münchner Akademie-Professor Hubertus von Pilgrim entwarf, ist inzwischen mehrere Dutzend Male kopiert worden. Ein Exemplar steht sogar in Yad Vashem, der Schoah-Gedenk- und Forschungsstätte in Jerusalem.

Todesmarsch-Denkmal

Vor 25 Jahren, am 12. Juli1989, wurde das erste dieser Mahnmale am Fried­hof von Gauting enthüllt. Angeregt durch die Facharbeit des Gymnasi­asten Matthias Hornstein, der den grauenvollen Gewaltmarsch von bis zu 7000 KZ-Häftlingen erforschte, war es Dr. Ekkehard Knobloch, damals Bürgermeister von Gauting (und heute Mitglied der Freunde Abrahams), der eine ent­sprechende Form des Gedenkens gegen anfänglich große Bedenken um­setzte. Inzwischen sind die Mahnmale nicht mehr wegzu­denken. Überlebende bestätigten, dass die Gestal­tung der Denkmäler ihr eigenes Erleben würdevoll umsetzt. Hinzugekommen ist als Form der Erinnerung, dass der Weg jedes Jahr durch eindrucksvolle Gedenk­märsche etappenweise nachvoll­zogen wird – an denen jede/r sich betei­ligen kann.


Zurück zur Auswahl


Aus aller Welt

Muslime gegen Terror und Gewalt

Die Schrecknisse der Welt zu verbreiten sehen alle Nachrichtenmedien als Aufgabe an. Erschreckend oft sind darunter Verbrechen, die von Muslimen be­gangen werden, und das trägt zu einem traurig weit verbreiteten Bild vom Islam als einer angeblich gefährlichen, gewalttätigen Religion bei. Dass Muslime selbst am meisten darunter leiden, wenn ihre Religion derart per­vertiert wird, wird kaum zur Kenntnis genommen. Von ihnen fordert man, dass sie sich laut und deutlich distanzierten und gegen Gewalt im Namen der Religion aussprächen. Selbst­verständlich geschieht genau dies ununter­brochen – nur verschweigen dieselben Medien, die über Terror und Gewalt berichten, in der Regel die entsprechenden Aktionen und Stellungnahmen. Oder haben Sie von der Presseerklärung von Imam Idriz im Namen des Münchner Forums für Islam zu den aktuellen Meldungen aus Nigeria und andernorts erfahren? Vermutlich nicht. Deshalb sei sie wenig­stens hier im vollen Wortlaut wiedergegeben:

„Wenn jemand eine Schule überfällt, Schülerinnen oder Schüler entführt und damit droht, sie auf einem Markt zu verkaufen – dann handelt es sich offenkundig um Schwerverbrecher, die von den Instanzen ihres Landes ver­urteilt und bestraft werden müssen.

Wenn Verbrecher behaupten, im Namen einer Religion zu handeln und mit ihrem Treiben den Willen Gottes auszuführen, dann handelt es sich offen­kundig um wahnsinnige oder irregeleitete Existenzen, auf welche Religion auch immer sie sich dabei berufen. Solche geistige Zerrüttung greift auch auf so genannte ‚Islam­kritiker‘ über, die das verbrecherische Religionsver­ständ­nis der Täter als ‚wahr‘ hinstellen und weiter verbreiten.

Wenn in solchen Fällen der Islam als angeblicher Beweggrund für Verbrechen missbraucht wird, dann sind wir als Muslime, wo immer wir sind, welchen Stand und welche Funktion auch immer wir einnehmen, gefordert, immer und immer wieder laut und deutlich aufzuschreien, notfalls fünfmal am Tag! Viele von uns tun dies ununterbrochen, doch werden unsere Stimmen leider sehr viel weniger von den Medien aufgegriffen und verbreitet, als die Schreckens­meldungen selbst.

Solche Fälle, wie sie aktuell aus Nigeria berichtet werden, aber auch aus Syrien und andernorts, wo der friedliche Name unserer Religion durch grauen­­volle Gewalttaten vergewaltigt wird, beleidigen Gott und seine Pro­pheten nicht weniger, sondern mehr, als manche Provokationen durch Islam­hasser.“

Imam Benjamin Idriz, 10.5.2014


Zelt der Völker – wir weigern uns Feinde zu sein

von Brigitte Hutt

Israel und Palästina: Gewachsene Orte und geplante Siedlungen, Macht­demonstra­tion und Überlebenswille, Mauern und Zäune, Historie und Macht, und überall: Menschen, die einfach ihr Leben leben wollen. Menschen wie Daoud Nassar sind es, die Hoffnungslichter setzen. Hoffnung auf Zukunft erweckt seine religions- und nationenübergreifende Begegnungsstätte Tent of Nations (Zelt der Völker), an deren Eingang er demonstrativ die Worte „we refuse to be enemies“, wir weigern uns Feinde zu sein, gesetzt hat.

Doch immer wieder lässt der Staat Israel (nicht „die Juden“) den (christlichen) Palästinenser seine Ohnmacht spüren, zuletzt am 19. Mai 2014: Das israelische Militär hat mehr als 1500 Obstbäume und Weinstöcke auf dem Grund der Familie Nassar zerstört und das Gelände planiert. Die Bepflanzungen auf dem Gelände, genannt Dahers Weinberg, sind in vielfacher Eigeninitiative mit Besu­chern des Camps entstanden und gepflegt worden. Da aber die Familie Nassar ihr ererbtes Eigentumsrecht an diesem Boden nicht urkundlich belegen kann, zieht sich der juristische Streit schon über Jahre hin, gelegentlich von solchen Gewaltaktionen gegen die Pflanzungen und Wege untermauert.

Nun steht Daoud Nassar wieder einmal vor Brachland, und wieder einmal vor den Kosten des Wiederaufbaus, zu denen natürlich die aufgelaufenen und nicht enden­den Prozesskosten noch hinzukommen. Einige der Freunde Abrahams kennen das Camp und können von der Gastfreundschaft Nassars ebenso begeistert erzählen wie von der bezaubernden Stimmung dort auf dem Berg. Es ist sicher nicht die einzige erhaltenswerte Initiative für Verständigung zwisc.dehen den Völkern, aber es ist eine, der die Freunde Abrahams seit Jahren verbunden ist. Und so möchten wir allen unseren Lesern die Möglichkeit geben, sich dort am Erhalt und Wiederaufbau zu beteiligen. Informationen sind erhältlich bei Georg Bornkamm, Georg.Bornkamm@t-online.de, oder direkt bei www.tentofnations.org. Spenden werden erbeten über die „Grünhelme“, deren Gründer Rupert Neudeck, unser Kurator, das Zelt der Völker ebenfalls seit Jahren begleitet: gruenhelme.de/spenden (Verwendungszweck: tent of nations).


Gedenken

Eugen Biser (1918 – 2014)

Zum Tod von Prof. Dr. mult. Eugen Biser kondolierte Stefan Jakob Wimmer der Eugen-Biser-Stiftung mi dem folgenden Schreiben vom 26.3.2014:

„Mit Eugen Biser ist ein großer Geist heimgekehrt zu Gott. Viele Mitglieder unserer Gesellschaft „Freunde Abrahams“ gehörten auch zu seinen Hörern und verdanken ihm Anregungen für ihr Denken, Glauben und Leben.

Menschen wie Eugen Biser fehlen in der Kirche, in der Universität, in der Gesellschaft. Umso mehr wünsche ich Ihnen und allen, die in der Eugen-Biser-Stiftung wirken und sein Vermächtnis lebendig erhalten, dass Sie aus seinem Mut zum Aufbruch Kraft schöpfen um die Wege, die er aufgezeigt hat, weiter zu gehen.

Sein Andenken sei ein Segen und eine Verpflichtung!“


Klaus Schmidt (1953 – 2014)

von Stefan Jakob Wimmer

Als wir im Oktober 2011 die Osttürkei bereisten, empfing uns apl. Prof. Dr. Klaus Schmidt auf dem Göbekli Tepe – seinem Grabungsgelände in der Um­gebung von Urfa, mit dem er in den letzten Jahren die etablierten Erkennt­nisse von der Religion, der Baukunst und der Sesshaft­werdung der frühen Menschheit revolutio­nierte. Die eindrucksvoll reliefierten Steinpfeilerkreise mit Tier- und Menschendar­stel­lungen aus dem 10. und 9. Jahrtausend v. Chr. hätte die Wissenschaft für völlig unvorstellbar gehalten – bis Klaus Schmidt sie in den 1990er Jahren entdeckte und seitdem vor Ort, in Büchern („Sie bauten die ersten Tempel“ u. a.) und Aus­stellungen, als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erlangen und als Referent an der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts erschloss. Die faszinierenden monu­mentalen Stein­arbeiten aus einer Zeit, als wir uns den Menschen noch als in Kleingruppen jagend und sammelnd herumziehend vorstellen, werfen tiefgreifende Fragen auf nach den Ur­sprün­gen der Zivilisation am Scheitel­punkt des „Fruchtbaren Halbmonds“. Diesen Fragen widmete Klaus Schmidt zusammen mit seiner Frau, der türki­schen Archäologin Cigdem Köksal-Schmidt, viele Jahre seines Lebens.

Am 20. Juli 2014 starb er im Alter von 60 Jahren bei einem Badeunfall an der Ostsee. Er mag uns jetzt die Antworten auf alle Fragen voraushaben.


Zurück zur Auswahl;


Die gute Nachricht – gute Nachrichten

Initiativen christlich-muslimisch …

von Brigitte Hutt

Als wir die Rubrik „Die gute Nachricht“ ins Leben gerufen haben, geschah es noch mit dem etwas trotzigen Gedanken „es muss doch möglich sein, gute Nachrichten zu unserer Thematik zu finden …“ Inzwischen ist die Rubrik schon gute „alte Tradition“, und mitunter ereilen uns passende Nachrichten fast in Wettläufen. Heute wollen wir gleich ein paar davon skizzieren.

Focus übertitelte am 30.04.2014: Gottes Bürgermeisterin

Fabronia Benno, türkisch-amtlicher Name Februniye Akyol, 25 Jahre jung, syrisch-orthodoxe Christin, übernahm die Amtsgeschäfte als Oberbürgermeisterin im anatolischen Mardin, einer uralten mesopotamischen Stadt mit 82.000 Einwoh­nern. Erstmals regiert eine Christin eine türkische Stadt, gleichberechtigt in einer Allianz mit einem kurdischen Stammesfürsten.

Leyla Imret: Bremerin, Kurdin, Bürgermeisterin

Ebenfalls im April 2014 wurde die 26-jährige Bremer Friseurin und Kinderpflegerin Leyla Imret Bürgermeisterin ihrer Geburtsstadt Cizre. In den Neunzigerjahren waren die Berge dort einer der Hauptkampfplätze von kurdischer PKK und türkischem Militär, Kämpfe, die auch ihren Vater das Leben kosteten. Ihre Kind­heits­erinnerungen sind davon geprägt, aber sie ist glücklich, nun etwas für ihr Land tun zu können.

Interreligiöses Afghanistan

Eine Familie aus dem Kreis Regensburg hat zusammen mit einem Südtiroler Pater die „Kinderhilfe Afghanistan“ ins Leben gerufen. Dort in Peschawar gibt es nun seit drei Jahren die ersten christlich-muslimischen Dorfschulen. Moderate muslimische und katholische Lehrerinnen, sorgfältig ausgewählt von den Initiatoren, erziehen über 1000 Kinder beider Religionen zu Frieden und Toleranz.

Unsere Gedanken und Gebete sollen diese und andere Initiativen begleiten.


Zurück zur Auswahl


BUCHTIPPS

Andreas Renz: Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog.
50 Jahre „Nostra Aetate“ – Entstehung, Rezeption, Wirkung

Der Autor, Leiter des Fachbereichs Dialog der Religionen im Erzbischöflichen Ordinariat München und Mitglied der Freunde Abrahams, skizziert die Vor- und Entstehungsgeschichte der einschneidenden Konzilserklärung „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils, bespricht ihre Rezeptions- und Wirkungsgeschichte und ruft dazu auf, die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen des interreligiösen Dialogs als Zeichen der Zeit wahr- und ernst zu nehmen.

Siehe dazu auch den Hauptvortrag am 29.1.2015, oben S. 4.

Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014, 286 S. ISBN 978-3170234253, € 34,90

Jürgen Wasim Frembgen: Tausend Tassen Tee

Die Kulturgeschichte des Teetrinkens erzählt der Autor, Dr. Jürgen Wasim Frembgen, Islamwissenschaftler und Hauptkonservator am Völkerkunde­muse­um München, unterhaltsam und kompetent, anhand persönlicher Erfah­rungen von Marokko bis Indien. Die Leserin und der Leser werden die Reisen zum Tee mit frischen Minzblättern in Marokko, zum schwarzen süßen Tee in der Türkei, zum grünen Tee in Afghanistan oder dem starken Tee mit Milch in Indien mitvollziehen und in die Kulinarik der islamischen Welt und ihrem Genuss an der Langsamkeit einbezogen.

Lambert Schneider Vlg., Darmstadt 2014, 143 S., ISBN 978-3650400222, 24,95 €

„Vom Leben umfangen“
Ägypten, das Alte Testament und das Gespräch der Religionen
Gedenkschrift für Manfred Görg

Die wissenschaftliche Gedenkschrift für Manfred Görg, herausgegeben von Stefan Jakob Wimmer und Georg Gafus im Auftrag der Freunde Abrahams, sammelt Beiträge von 64 renommierten WissenschaftlerInnen und Weg­gefährten aus vielen Ländern, die sich bereitgefunden haben, das breit gefächerte Wirken Manfred Görgs in den Bereichen „Bibel und Theologie“, „Ägypten und der Alte Orient“ und „Die abrahamischen Religionen im Gespräch“ mit eigenen Arbeiten zu würdigen.

Das stattliche Werk mit fast 700 Seiten erscheint als Band 80 der von Manfred Görg gegründeten und jetzt von Stefan Jakob Wimmer und Wolfgang Zwickel herausgegebenen Reihe „Ägypten und Altes Testament“ und wird im Rahmen einer festlichen Buchpräsentation am 13.12.2014 im Ägyptischen Museum München vorgestellt (siehe unter Veranstaltungen)


Zurück zur Auswahl;